In den ehemaligen kommunistischen Ländern Ostmitteleuropas sind die politischen Strukturen der Diktatur und die auf Staatsplanung beruhende Wirtschaftsordnung zwei Jahrzehnte nach dem Umbruch fast überall beseitigt. Doch ist die (Re-) Konstruktion einer bürgerlichen Gesellschaft als Träger des demokratischen Verfassungsstaates mit größeren Schwierigkeiten verbunden als erwartet. Kaum jemand beruft sich noch auf den Marxismus-Leninismus als die das kommunistische System legitimierende Ideologie. Aber viele seiner Symbole leben nach wie vor in der Alltagskultur. Im Bewusstsein und den alltäglichen Haltungen vieler Menschen, die mit der gewonnenen Freiheit wenig anzufangen wissen, führt der „homo sovieticus“ ein „Leben nach dem Tode“. Hinzu kommt, dass große Teile der Gesellschaft den Systemwandel als Verlust an sozialer Sicherheit und Minderung von Lebenschancen erleben. Das Urteil über die kommunistische Vergangenheit fällt deshalb äußerst widersprüchlich aus und spaltet teilweise die Gesellschaften.
Auf der Tagung wollen wir untersuchen, worin die Transformationshemmnisse in einzelnen ostmitteleuropäischen Ländern bestehen und welche Rolle der zum Teil stecken gebliebenen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit dabei zukommt. Wir wollen der Frage nachgehen, in wieweit die mentale und materielle Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten zugleich der Nährboden für populistische Bewegungen ist, die nicht selten nationalistisch und antisemitisch, zuweilen sogar rechtsextremistisch eingefärbt sind. In Auseinandersetzung mit dieser rechtsextremen Mobilisierung als vermeintliche Antwort auf die Transformationsprobleme werden politische Strategien
diskutiert, die eine demokratische Entwicklung stärken.
Dazu laden wir Sie herzlich ein.
Ludwig Mehlhorn und Ulrike Poppe
Programm
Freitag, 13. Juni 2008
17.00 Uhr Anmeldung, Kaffee
18.00 Uhr Abendessen
19.00 Uhr Begrüßung und Einführung in die Tagung
Ludwig Mehlhorn, Evangelische Akademie zu Berlin
Joachim Trenkner, „Tygodnik Powszechny“, Krakau/Berlin
19.30 Uhr Freiheit und neue Sicherheit
Befindlichkeiten nach dem Systemwechsel
Reinhold Vetter, Redakteur des „Handelsblatt“, Warschau
21.00 Uhr Offener Abend
Samstag, 14. Juni 2008
Rückblick nach vorn - im Glück und im Zorn
Kommunismusbild und Gegenwartsdeutung – Zum Stand der Aufarbeitung des Kommunismus
9.30 Uhr Polen:
Dr. Piotr Olszówka, Philosoph, Publizist, Berlin
Tschechien:
Dr. Jaroslav Šonka, Europäische Akademie, Berlin
11.00 Uhr Kaffeepause
11.30 Uhr Russland:
Anna Schor-Tschudnowskaja M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin / Projektleiterin Osteuropa
an der Sigmund Freud Privat-Universität Wien; Mitglied von „Memorial“
Ukraine:
Volodymyr Perepadya, Journalist, Chefredakteur der deutschen Sektion Radio International, Kiew
Belarus:
Prof. Dr. Rainer Lindner, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin (angefragt)
Moderation: Ludwig Mehlhorn, Joachim Trenkner
13.00 Uhr Mittagessen
14.45 Uhr Kaffee
15.00 Uhr Diktaturfolgen und Transformationsdefizite
Gewinner und Verlierer des Systemumbruchs
Wolfgang Templin, Publizist, Berlin
Dr. Kazimierz Wóycicki, Universität Warschau
Moderation: Ulrike Poppe
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr Die falsche Therapie gegen den Phantomschmerz
Rechtsextremismus in Ostmitteleuropa
Dr. Tom Thieme, Politikwissenschaftler, Universität Chemnitz
Dr. Florian Hartleb, Politikwissenschaftler, Universität Chemnitz
Kinga Hartmann, Sächsische Bildungsagentur, Regionalstelle Bautzen
Moderation: Ludwig Mehlhorn
18.30 Uhr Abendessen
20.00 Uhr Traum und Erwachen
Solokonzert von Stephan Krawczyk, Sänger und Dichter, Berlin sowie Texte von Zeitzeugen zum Kommunismus
Ende gegen 22.00 Uhr
Sonntag, 15. Juni 2008
9.15 Uhr Andacht
10.00 Uhr Gespaltene Erinnerung im geeinten Europa
Prof. Dr. Jan Sokol, Philosoph, Karls Universität Prag
11.00 Uhr PODIUM
Die richtige Therapie gegen den Phantomschmerz
Zum Verhältnis von historischem Bewusstsein und Gegenwartsdeutung
Dr. Elke Fein, Sozialwissenschaftlerin, Lehrbeauftragte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Freya Klier, Publizistin, Berlin
Richard Wagner, Schriftsteller, Berlin
Moderation: Doris Liebermann,
Osteuropawissenschaftlerin, freie Publizistin, Berlin
12.30 Uhr Auswertung der Tagung
13.00 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung