Die rumänische Gesellschaft ist grundsätzlich proeuropäisch eingestellt. Eine Mehrheit erwartet von „Europa“ an erster Stelle wachsenden Wohlstand und eine faire Justiz. Doch wie realistisch sind diese Hoffnungen? Anderthalb Jahre nach dem EU-Beitritt ist es Zeit für eine erste Zwischenbilanz.
Trotz des dynamischen Wirtschaftsaufschwungs – das Wachstum liegt bei 6-8 % – bleibt mit Blick auf die wachsende soziale Schere und den Verfall der Autorität des Staates die Frage: Kam der Beitritt zu früh? Rumänien gilt weithin als Armenhaus Europas, doch eine differenzierte Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Lage zeigt auch positive Entwicklungen. Diese werden jedoch im Ausland nicht immer angemessen wahrgenommen, da der mediale Fokus auf Problemgruppen wie Landbevölkerung, Roma und Straßenkinder gerichtet ist.
Im Bereich von Menschen- und Bürgerrechten hat der EU-Beitritt zu Gesetzesänderungen und Rechtsfortschritten geführt. Andererseits unterhöhlt der sehr hohe Korruptionsindex demokratische Strukturen. Eine weitere offene Frage ist der Umgang mit dem Erbe zweier Diktaturen, dem Faschismus unter Antonescu vor und dem Kommunismus in verschiedenen Phasen nach 1944. Aber auch hier sind dynamische Entwicklungen im Gange. Die wachsende Internationalisierung wird helfen, vorhandene Defizite weiter abzubauen und die Wirkungsmacht nationaler Mythen zu verringern.
Schließlich wollen wir nach der Rolle von Religion und ihren Institutionen fragen – ein Thema, das in Rumänien eng mit ethnisch-nationaler Zugehörigkeit verknüpft ist. Religions-, Nationalitäten- und Minderheitenpolitik lassen sich nicht voneinander trennen. Zudem ist Rumänien das am wenigsten säkularisierte Land in Europa, es gibt noch weniger erklärte Atheisten als in Polen. Die Umsetzung des im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen verabschiedeten Religionsgesetzes ist deshalb von besonderem Interesse.
Zur Diskussion über diese diversen Spannungsfelder laden wir Sie herzlich ein. Die Tagung dient auch als Vorbereitung für unsere Studienreise im September.
Ludwig Mehlhorn
Die Veranstaltung wird gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung.
Freitag, den 18. April 2008
17.30 Uhr Anmeldung, Begrüßungskaffee
18.30 Uhr Begrüßung
Ludwig Mehlhorn
18.45 Uhr Ist die Transformation eine Erfolgsstory?
Paradigmen- und Elitenwechsel nach 1989
Prof. Dr. Anton Sterbling, Soziologe und Pädagoge,
Fachhochschule für Polizei Sachsen, Rothenburg / Oberlausitz
20.30 Uhr Abendessen
22.00 Uhr Videogramme einer Revolution
Ein Film von Harun Farocki und Andrei Ujuca über den Sturz Ceausescus
Samstag, den 19. April 2008
8:00 Uhr Frühstück
9.00 Uhr Morgenandacht
9.30 Uhr Geschichte, die noch qualmt
Aspekte der Aufarbeitung im postkommunistischen Rumänien
William Totok, Schriftsteller und Publizist, Berlin
Die Orthodoxe Kirche im Kommunismus
Dr. Jürgen Henkel, Direktor der Evangelischen Akademie Sibiu/Hermannstadt
11.00 Uhr Kaffeepause
11.30 Uhr Spannungsfeld Rechtsstaat
Implementierung der europäischen Menschenrechtsstandards
Dr. Gabriel Andreescu, Philosoph und Politologe, Universität Bukarest,
Rumänisches Helsinki-Komitee
13.00 Uhr Mittagessen
15.00 Uhr Spannungsfeld Religion
Die Kirchen im öffentlichen Leben
Smaranda Enache, Co-Vorsitzende von Liga pro Europa, Tirgu Mures
Das neue Religionsgesetz in Theorie und Praxis
Tilo Krauße, Evangelische Akademie Sibiu/Hermannstadt
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr Zivilgesellschaftliche Aufgaben
Abschlussgespräch
18.00 Uhr Reisesegen
anschl. Abendessen
19.00 Uhr Einführung in das Programm der Studienreise
(für Interessenten)
Tilo Krauße
20.30 Uhr Ende der Tagung