Das Jahr 1968 markiert für viele Menschen in der ehemaligen DDR wie in der Bundesrepublik biografische Einschnitte. An den Aufbruchbewegungen beteiligt waren vor allem junge Menschen – kurz vor oder nach Kriegsende geboren. In einem intensiven Gespräch zwischen Akteurinnen von damals und Vertreterinnen der jüngeren Generationen möchte unsere Tagung unterschiedliche Erfahrungen politischen Engagements, die eigenen Rolle dabei, persönliche Einsichten, biografische Brüche und Beziehungen zwischen gesellschaftlichem Engagement und persönlichem Lebensentwurf thematisieren. Dabei interessieren uns die unterschiedlichen Perspektiven von Frauen.
Bisher wurde der spezifische Anteil von Frauen in den politischen und kulturellen Aufbrüchen vor 40 Jahren wenig beachtet. Dabei hatte im Westen die neue Frauenbewegung großen Anteil an den gravierenden gesellschaftlichen Brüchen und Veränderungen der 60er und 70er Jahre.
In beiden deutschen Staaten war die Staatsmacht männlich dominiert. Jedoch stand bei den Frauen in der DDR nicht ihre Gleichstellung gegenüber den Männern im Vordergrund. Gemeinsam mit ebenfalls gegen staatliche Bevormundung aufbegehrenden Männern versuchten sie sich gegen die Zwänge des SED-Systems zu wehren und für Reformen einzusetzen. Die wichtigsten Impulse gingen dabei für sie vom „Prager Frühling“ aus.
Welche Rolle spielten Frauen bei den Ereignissen um das Jahr 1968 in Ost und West? Welche Wirkungen hatte ihr Engagement? Wie bewerten die damaligen Akteurinnen und die nachfolgenden Frauengenerationen heute die Folgen?
Wir laden besonders auch junge Frauen ein, ihre heutigen Erfahrungen mit politischem Engagement mit anderen zu diskutieren.
Im Herbst wird „Frauen in der Revolte II“ den Blick auf die Bedeutung von Frauen in der Aufbruchbewegung um 1989 richten.
Dorothea Höck, Evangelische Akademie Thüringen
Ulrike Poppe, Evangelische Akademie zu Berlin
Dr. Marina Grasse und Dana Jirous, OWEN e.V., Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung, Berlin
Prof. Dr. Cillie Rentmeister, Gender Studies, Fachhochschule Erfurt
Dr. Anne Ulrich, Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Berlin
Die Tagung wird gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Freitag, den 30. Mai 2008
18.00 Uhr Abendessen
19.00 Uhr Begrüßung und Einführung in die Tagung
Dorothea Höck, Ulrike Poppe
19.20 Uhr Zeitgemälde in Ton und Bild
Die späten 60er und frühen 70er Jahre in West und Ost:
Lebensgefühl, politische Positionen und Zukunftsvorstellungen der Nachkriegsgeneration
Prof. Dr. Cillie Rentmeister und Cristina Perincioli
Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm
„Wir wären so gerne Helden gewesen“ (1996)
Gespräch mit der Regisseurin Barbara Metselaar
Gegen 22.00 Uhr Kamingespräche
Samstag, den 31. Mai 2008
8.00 Uhr Frühstück
9.00 Uhr Von Haupt- und Nebenwidersprüchen
Aufbrüche gegen die etablierten Ordnungen in Ost und West
Gespräche mit Zeitzeuginnen
Franziska Groszer
Annerose Niendorf
Prof. Dr. Jirina Šiklová
Dr. Sibylle Plogstedt
Dr. Elisabeth Weber
Moderatorinnen: Dr. Anne Ulrich, Ulrike Poppe
(Kurzportraits zu den Zeitzeuginnen siehe unten)
12.30 Uhr Mittagspause
14.30 Uhr Kaffee
15.00 Uhr Biografische Brüche und politische Einsichten
Gespräche in Arbeitsgruppen mit den Zeitzeuginnen und Teilnehmenden aus mehreren Generationen
Themen: Politik und Lebensentwürfe, Frauen und Hierarchien, Macht und Identität, Verhältnis von politischem Engagement von Frauen und frauenbewegtem Engagement in der Politik
Moderatorinnen:
Dorothea Höck, Dana Jirous, Prof. Dr. Cillie Rentmeister
18.00 Uhr Abendessen
19.30 Uhr Gespräche und Musik
Sonntag, 1. Juni 2008
9.00 Uhr Andacht
Pfarrerin Dorothea Höck
9.30 Uhr Revolte damals und heute?
Gespräch mit aktiven Frauen der jungen Generation
Welche der ursprünglichen Erwartungen und Ziele von 1968 sind es wert, weiter verfolgt zu werden?
Was heißt es für junge Akteurinnen von heute, sich politisch zu engagieren?
Margarete Misselwitz, Sozialwissenschaftlerin, Berlin
Jana Simon, Europawissenschaftlerin, Reporterin des „Tagesspiegel“, Buchautorin, Berlin
Claudia Prinz, Mitglied von Reflect! – Assoziation für politische Bildung und Forschung, Projektgruppe Gender Exchange, Berlin
Johanna Bussemer, Dipl.- Politologin, Koordinatorin für Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum
Moderatorinnen: Dr. Marina Grasse; Dana Jirous
12.00 Uhr Zusammenfassung und Rückmeldungen zur Tagung
12.30 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung
Unsere Gesprächspartnerinnen am Samstagvormittag:
Franziska Groszer, geb. 1945, aufgewachsen in Ostberlin, verschiedene berufliche Tätigkeiten von Fabrikarbeiterin bis Dozentin, Mitgründerin der Kommune 1 Ost, nach der ersten öffentlichen Lesung Veröffentlichungs- und Auftrittsverbot, Ausbürgerung 1977, 3 Kinder, lebt heute als freischaffende Publizistin in Berlin:
„Wir waren uns einig, nichts und niemals etwas hinzunehmen, nur weil es uns vorgelebt wurde, nur weil es als das Normale galt."
Annerose Niendorf, geb. 1942, aufgewachsen in Dresden, Studium der Geographie und Germanistik in Leipzig, Lehrerin, 1968 Beteiligung am Protest gegen die Sprengung der Leipziger Universitätskirche, Verurteilung zu 5 1/2 Jahren Haft, Ende 1972 amnestiert, 2 Jahre später Übersiedlung in den Westen, 2 Kinder, lebt heute in Hamburg:
„Mit 28 wusste ich, wie ich leben will. Ich wollte in einer Demokratie leben, nicht in der Diktatur.
Prof. Dr. Jirina Šiklová, geb. 1935, Studium der Geschichte und Philosophie, Promotion, Professorin, 1969 - 71 und 1988 - 89 Lebensunterhalt als Putzfrau, 1981 - 82 und 1988 Gefängnis, heute u.a. Leitung des Gender Studies Centre in Prag:
"Die 68er Frauen reflektierten nicht ihre eigenen, frauenspezifischen Interessen. Deshalb blieben die Rollen und Namen tschechischer und slowakischer Frauen aus dieser Zeit bis heute nahezu unbekannt."
Dr. Sibylle Plogstedt, geb. 1945, 1968 Aufenthalt in Prag, Verhaftung, verurteilt zu 2 1/2 Jahren Haft, nach anderthalb Jahren aus der CSSR ausgewiesen, zeitweilig Trotzkistin, wissenschaftliche Arbeit an der FU-Berlin, (Mit)Gründerin und Redakteurin der Frauenzeitschrift „Courage“, lebt als freie Autorin und Filmemacherin in Bonn:
„Paradoxerweise verhielten sich die Frauenbewegungen im Osten und die im Westen inhaltlich umgekehrt proportional, denn sie standen ja zu unterschiedlichen Systemen in Opposition. Wir im Kapitalismus suchten unsere Positionen eher in antikapitalistischen und nichtchristlichen Standpunkten. Die im Osten orientierten sich in Opposition ebenfalls negativ an ihrem Staat und waren entweder prokapitalistisch, prochristlich oder linkskommunistisch orientiert."
Dr. Elisabeth Weber, geb. 1941 in Hamburg, Studium der Theaterwissenschaften und Germanistik in Köln, Wien, ab 1962 in Berlin, aktive Beteiligung an der Studentenbewegung mit allen Höhen und Tiefen, 1975 erste Reise nach Osteuropa, 1983 - 2003 wiss. Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, bis heute Zusammenarbeit mit Akteur/innen der Zivilgesellschaft Polens und Russlands:
„Sicher, die politische Kultur des SDS war eine patriarchalische Kultur. Aber für mich deshalb, weil wir zusammen ein politisches Denken vergötzten, in dem weibliche und menschliche Erfahrung keinen Platz hatte. Unter dieser Struktur des Denkens in Zerschlagungsstrategien litten auch die Männer und an ihm hatten die Frauen teil."
Kooperationspartner
Die Veranstaltung wird durchgeführt in Zusammenarbeit mit:
der Evangelischen Akademie zu Berlin:
http://www.eaberlin.de
der Heinrich-Böll-Stiftung:
http://www.boell.de
der Heinrich-Böll-Stiftung Thüringen e.V.:
http://www.boell-thueringen.de
OWEN e.V., Mobile Akademie für Geschlechterdemokratie und Friedensförderung:
http://www.owen-berlin.de
der Landeszentrale für politische Bildung in Thüringen:
http://www.thueringen.de/de/lzt/content.html
gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur:
http://www.stiftung-aufarbeitung.de