In den 80er Jahren war eine Reihe neuer oppositioneller Gruppen entstanden, die zum Teil aus den evangelischen Gemeinden hervorgingen oder sich in den Räumen der Evangelischen Kirche formierten. Zudem bot die Kirche den Gruppen eine Möglichkeit, durch Veranstaltungen in ihren Gebäuden und auf ihren Grundstücken eine (Halb-) Öffentlichkeit zu erreichen. Das war auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen nicht unumstritten, zumal dadurch das Staat-Kirche-Verhältnis erheblich gestört werden konnte. Durch Gemeindeanbindung suchten manche Gruppen Schutz vor staatlichen Übergriffen, gerieten aber auch zuweilen in Konflikt mit einer paternalistisch agierenden Kirchenobrigkeit. Die Evangelische Kirche war für die systemkritischen Initiativen aber auch mehr als ein Schutzdach und eine Plattform für ihr öffentliches Wirken. Biblische Bezüge wie die Verheißung des Propheten Micha: „Und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen … machen“ wurden zum Motto einer staatskritischen Friedensbewegung, die sich der Abschreckungslogik entzog und auch Menschen- und Bürgerrechtsfragen sowie die Bewahrung der Schöpfung ins öffentliche Blickfeld rückte. Inhaltlich gab es überwiegend Übereinstimmungen zwischen Kirche und Gruppen. Auf beiden Seiten musste allerdings ein Dauerkonflikt hinsichtlich der geeigneten Formen, wie gesellschaftliche Veränderungen erreicht werden können, ausgehalten werden.
Wie beurteilen wir heute, nach 20 Jahren, die Rolle der Evangelischen Kirche für die Entwicklung einer Widerstandskultur innerhalb staatsozialistischer Verhältnisse? Welchen Einfluss hatte sie auf Motivation, Inhalte und Ausdrucksformen der Protestbewegungen? Wie sind ihre Versuche, jede Provokation zu vermeiden, regimekritische Aktionen und offenen Protest auszubremsen und immer wieder das gute Einvernehmen mit dem Staat anzustreben, aus heutiger Sicht zu bewerten?
Ausgehend von diesen vergangenheitsbezogenen Fragen laden wir dazu ein, mit damals Beteiligten und heutigen kirchlichen und politischen Verantwortungsträgern darüber nachzudenken, wie politische Verantwortung der Evangelischen Kirche heute wahrgenommen werden kann.
Ulrike Poppe
Evangelische Akademie zu Berlin
Freitag, den 21. November 2008
17.00 Uhr Anmeldung
18.00 Uhr Abendessen
19.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Ulrike Poppe, Ev. Akademie zu Berlin
I. KIRCHE IM SED-STAAT
19.20 Uhr Konfrontation und Kompromiss
in Verantwortung vor Gott und den Menschen
Die Evangelische Kirche in den letzten zwei Jahrzehnten der DDR
Dr. Christian Halbrock, Historiker, Abt. Bildung und Forschung der BStU, Berlin
anschließend: Diskussion
Ende gegen 21.00 Uhr
Sonnabend, den 22. November 2008
09.00 Uhr Morgenandacht
Pfarrerin Dr. Marianne Subklew-Jeutner
II. KIRCHLICHE FRIEDENSARBEIT
Gesprächsleitung:
Dr. Christian Sachse,Historiker, Theologe, Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin
09.30 Uhr „Frieden schaffen ohne Waffen“
Die kirchliche Unterstützung der Wehrdienstverweigerer
Bernd Rieche, Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden e.V., Bonn
„Schwerter zu Pflugscharen“
Friedensgruppen unter dem Dach der Evangelischen Kirche
Dr. Marianne Subklew-Jeutner, Arbeitsstelle "Gewalt überwinden" der Nordelbischen Kirche, ehem. Pankower Friedenskreis, Hamburg
„Den Kreis der Gewalt überwinden“
Frauen für den Frieden innerhalb und außerhalb kirchlicher Fürsorge
Heidi Bohley, ehemals Mitglied von „Frauen für den Frieden“, heute Zeitgeschichte(n)-Verein, Halle
11.00 Uhr Kaffeepause
11.30 Uhr „Frieden oder Burgfrieden“
„Frieden Konkret“ –
das DDR-weite Netzwerk der Ev. Kirche für oppositionelle Gruppen
Hans-Jochen Tschiche, Pfarrer i.R., Satuelle
12.00 Uhr Mittagspause
III. SAMMELBECKEN DER OPPOSITION ODER EINGRENZUNG DES PROTESTES?
Gesprächsleitung:
Dr. Götz Planer-Friedrich, Theologe und Journalist, Berlin
14.00 Uhr Das binnenkirchliche Protestpotential
Selbstverständnis, Berufspraxis, amtsinterner Meinungsbildungsprozess und Disziplinierung kirchlicher Mitarbeiter
Dr. Christian Halbrock, Historiker, Abt. Bildung und Forschung der BStU, Berlin
14.30 Uhr Anziehungskraft durch (begrenzte) Freiräume
Bildung, Kultur und Öffentlichkeit unterm Kirchendach
Die Bluesmessen: Zufluchtsort und Hoffnungsraum für Jugendliche
Dr. Dirk Moldt, Historiker, Berlin
„Nur für den innerkirchlichen Gebrauch“ – Publikationen jenseits staatlicher Zensur
Peter Grimm, ehem. Redakteur des „Grenzfall“, Berlin
Kirche als Öffentlichkeit: Die Leipziger Friedensgebete
Annegreth Strümpfel M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Promovendin,
Universität Karlsruhe
15.30 Uhr Kaffeepause
IV. FORMIERUNG DER OPPOSITION – LERNFELDER IN DER KIRCHE
Gesprächleitung:
Ulrike Poppe, Ev. Akademie zu Berlin
16.00 Uhr Solidarische Kirche als „Lernfeld für Demokratie“
Joachim Goertz, Pfarrer, Bartholomäusgemeinde, Berlin
Friedensseminare, Friedenswerkstätten und Kirchentage
Elke Westendorff, ehemals Mitglied von „Frauen für den Frieden“, heute Familientherapeutin, Arbeitersamariterbund im Landkreis Bad Doberan
Evangelische Akademien als „Schule der Verantwortung“
Marion Fleige, Theologin, Erziehungswissenschaftlerin, Humboldt-Universität Berlin
„Kirche von unten“ :
Gegen paternalistische Bevormundung durch Kirche und Staat
Reinhard Schult, Mitinitiator der „KvU“, z.Z. Mitarbeiter beim LStU, Berlin
Ökumenische Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Dr. h.c. Christof Ziemer, Pfarrer, ehem. Superintendent des Kirchenbezirks Dresden-Mitte, 1988 und 1989 Vorsitzender des Präsidiums der Ökumenischen Versammlung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung
Runde Tische: Die Kirchen moderieren die Übergangsordnung
OKR i.R. Martin Ziegler, Pfarrer, ehem. Moderator des Zentralen Runden Tisches, Schildow
18.30 Uhr Abendbrot
V. KIRCHE UND REVOLUTION
19.30 Uhr Wie protestantisch war die Revolution?
Gerhard Rein, Journalist, Berlin
20.30 Uhr Offener Abend
Sonntag, den 23. November 2008
09.00 Uhr Andacht
Marion Fleige
09.30 Uhr Kaffeepause
09.45 Uhr Inspiration, Ermutigung und Zähmung
Die Evangelische Kirche als Hort widerständigen Verhaltens
Dr. Ehrhart Neubert, Theologe, Publizist, Erfurt
10.30 Uhr Pause
11.00 Uhr PODIUM
Die Rolle der Evangelischen Kirche im demokratischen Umbruch
…und was wir von ihr in der Demokratie erwarten
Almuth Berger, ehem. Pastorin der Bartholomäusgemeinde, Mitbegründerin von „Demokratie jetzt“, Berlin
Dr. Ehrhart Neubert, Theologe, Publizist, Erfurt
Prof. Dr. Dagmar Schipanski, Präsidentin des Thüringer Landtags, Erfurt
PD Dr. Anke Silomon, Historikerin, stellv. Vorsitzende der Gesellschaft zur
Förderung vergleichender Staat-Kirche-Forschung, Karlsruhe
Annegreth Strümpfel M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin, Promovendin,
Universität Karlsruhe
Moderation: Gerhard Rein, Journalist, Berlin
13.00 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung