Kirche und Zivilgesellschaft – seit einigen Jahren initiieren die Veranstalter ein fruchtbares interdisziplinäres Gespräch über ein Verhältnis, das von Distanz und gegenseitiger Bezogenheit zugleich bestimmt ist. Da der Staat nicht das alleinige Gegenüber der Religionsgemeinschaften ist, ist die Debatte bewusst nicht auf „Staat und Kirche“ beschränkt worden. Umgekehrt würde eine Ausweitung auf „Religion und Gesellschaft“ die Wirksamkeit der Institution Kirche im gesellschaftlichen Kräftespiel unterschätzen.
Denn Kirchen sind zivilgesellschaftliche Akteure, sie handeln in sozialen Feldern, karitativ und diakonisch, sie bestimmen gesellschaftliche Debatten und prägen Wertehorizonte. Sie wirken transnational, und sie können Menschen ein- oder ausschließen. Ihre Praxis trägt zum Gelingen der Zivilgesellschaft bei. Zugleich stehen Kirchen aufgrund ihrer religiösen Orientierung in Distanz zur Gesellschaft. Die Beziehung zu Gott relativiert die Beziehungen zu den Menschen – und will sie zugleich aus anderen Quellen vertiefen.
Diese eigenwillige Beziehung von christlicher Kirche und Zivilgesellschaft wurde in vorangegangenen Tagungen wesentlich in historischer Perspektive untersucht. Dabei konnten sowohl die unterschiedlichen Eigenlogiken von Kirche und Zivilgesellschaft aufgezeigt werden als auch zahlreiche Verbindungen zwischen den beiden Größen nachgewiesen werden.
Ausgehend von einer kritischen Revision der bisherigen Ergebnisse soll die Verhältnisbestimmung weiter diskutiert werden. Dazu dienen zwei Beispiele: die Rolle der Kirche im politischen Umbruch von 1989/90 und in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus.
Was ist rückblickend zu lernen aus den Gebeten um Erneuerung, die im Vorfeld der friedlichen Revolution von 1989 in zahlreichen Kirchen in der ehemaligen DDR stattfanden? In dieser Zeit des Umbruchs waren die Evangelischen Kirchen entscheidende Kristallisationskerne des zivilgesellschaftlichen Engagements. Kirche stellte ein wesentliches Motivierungspotenzial dar und bot Raum zur Entwicklung von Engagement. Aber diese Funktion der Kirche endete mit dem erfolgten Umbruch.
Das zweite Beispiel nimmt eine aktuelle Aufgabe in den Blick. Derzeit sind alle Kräfte der Zivilgesellschaft, einschließlich der Kirchen, insbesondere in Ostdeutschland herausgefordert, sich bei der Prävention von Rechtsextremismus zu bewähren. Am Beispiel der Arbeit der Regionalzentren für demokratische Kultur, die im Auftrag der Evangelischen Akademie Mecklenburg-Vorpommern arbeiten, lassen sich Engagement und Distanz der Kirche als zivilgesellschaftliche Akteurin nachvollziehen. So setzen sich die Kirchen für einen friedlichen Dialog über die wirtschaftliche Krise und die sozialen Folgen – wie die zunehmende Arbeitslosigkeit – ein. Auch indem sie Gewalt in der Gesellschaft entgegentreten und in Konflikten vermitteln, dämmen sie nicht nur rechtsextreme Ideologien und Aktivitäten ein, sondern stärken zivilgesellschaftliche Werte, diesen entsprechende Handlungsformen und deren Träger.
Engagement und Distanz: Wir laden ein, im interdisziplinären Gespräch an der Verhältnisbestimmung von Kirche und Zivilgesellschaft mitzuarbeiten.
Dr. Rüdiger Sachau
Evangelische Akademie zu Berlin
Prof. Dr. Arnd Bauerkämper
Freie Universität Berlin
Prof. Dr. Jürgen Nautz
Universität Wien
10.00 Uhr Begrüßung
Dr. Rüdiger Sachau, Berlin
Zum Arbeitsprojekt „Kirche und Zivilgesellschaft“
Prof. Dr. Arnd Bauerkämper, Berlin
Prof. Dr. Jürgen Nautz, Wien
10.15 Uhr Kirche und Zivilgesellschaft – der Stand der Diskussion
Eine Einführung
Prof. Dr. Jürgen Kocka, Berlin
10.45 Uhr Diskussion
11.30 Uhr Pause
11.45 Uhr Kirche als zivilgesellschaftliche Kraft in der friedlichen Revolution
Das Beispiel: Die Gebete um Erneuerung in Leipzig 1989
Pfarrer Stephan Bickhardt, Markkleeberg
12.15 Uhr Diskussion
13.00 Uhr Mittagspause
14.00 Uhr Die zivilgesellschaftliche Aufgabe der Kirche in der Gegenwart
Das Beispiel: Ermutigung zu politischer Teilhabe als Prävention gegen Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern
Direktor Klaus-Dieter Kaiser und Mitarbeiter des Präventionsteams, Evangelische Akademie Mecklenburg-Vorpommern, Rostock / Bad Doberan / Stralsund
14.30 Uhr Diskussion
15.15 Uhr Kommentar zum Schluss
Rupert Graf Strachwitz, Maecenata Institut Berlin
16.00 Uhr Kaffeetrinken
Wir empfehlen zur Vorbereitung:
Tagungsbericht Christliche Kirchen und Zivilgesellschaft: Unabhängig oder verbunden? (20.-22.09.2007, Berlin) unter: http://www.eaberlin.de/KircheundZivilgesellschaft.pdf
(zuerst erschienen in: H-Soz-u-Kult, 27.02.2008, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=1914&view=pdf&pn=tagungsberichte)
Das Buch zur Tagung erscheint im Oktober:
Arnd Bauerkämper / Jürgen Nautz (Hg.), Zwischen Fürsorge und Seelsorge. Christliche Kirchen in den europäischen Zivilgesellschaften seit dem 18. Jahrhundert, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2009.