Zur Primärversorgung zählen alle Dienste, die im Fall einer Krankheit zuerst aufgesucht werden und die auch im Krankheitsverlauf kontinuierliche Betreuung leisten. Eine wohnortnah organisierte und niedrigschwellige Versorgung, die medizinische, pflegerische und soziale Angebote nutzerorientiert verknüpft, gilt in Deutschland als vergleichsweise schlecht ausgebaut.
Die Erwartungen an die Primärversorgung unterliegen einem Wandel. Sie ergeben sich aus dem veränderten Bedarf der Bevölkerung (wie dem steigenden Anteil älterer Menschen, dem Bevölkerungsschwund in strukturschwachen Regionen und Veränderungen des Krankheitsspektrums), den ökonomischen Rahmenbedingungen sowie neuen Kooperationsmöglichkeiten und gewachsenen Kompetenzen im Gesundheitssystem. Neben der allein in ihrer Praxis tätigen Hausärztin könnte es Primärversorgungszentren geben, in denen ärztliche, pflegerische, psychotherapeutische Mitarbeitende verfügbar sind und sich alle Fachkräfte auf bestimmte Kompetenzen konzentrieren könnten. Darüber hinaus kommen auch Netzwerke in Frage, deren Akteure sich gemeinsam in der Verantwortung für die Gesundheit der Bevölkerung - beispielsweise eines Stadtteils - sehen und sehr viel stärker präventiv arbeiten, z. B. in der Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen und Schulen. Hier stellt sich u. a. auch die Frage, inwieweit Kirchengemeinden Bestandteile solcher Netze sein können.
Die Diskussion über die Zukunft der Primärversorgung ist zur Zeit stark bestimmt von berufsständischen Perspektiven und Konfliktlagen: Hausärzte vs. Fachärzte, Medizin vs. Pflege vs. Sozialarbeit etc. Das Gewicht der Krankenkassen, die inzwischen einzeln Hausarztverträge abschließen können und müssen, nimmt zu. Was der Diskussion oft fehlt, ist die Perspektive der Patientinnen und Patienten: Wie kann eine Primärversorgung aussehen, welche den Bedürfnissen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen gerecht wird? Hier geht es beispielsweise um die Bedürfnisse älterer Menschen, die wohnortnah die Arztpraxis und den Pflegedienst benötigen, oder um die Bedürfnisse chronisch erkrankter Menschen, die neben hochspezialisierten Angeboten von einem umfassenden Case Management profitieren. Eine nutzerorientierte Primärversorgung sollte aber auch die .Gesunden. im Blick haben, die schnell und unkompliziert Zugang zu Vorsorgeleistungen suchen oder eine Krankschreibung benötigen.
Die Tagung versteht sich als Beitrag zu einer kritischen öffentlichen Diskussion über den heutigen Behandlungsauftrag und innovative Modelle in der Primärversorgung. Sie wendet sich an Vertreterinnen und Vertreter aus Public Health, Gesundheitspolitik und Medizinethik, an Mitarbeitende im Gesundheitswesen sowie sonstige an der Thematik Interessierte.
Wir laden Sie herzlich ein!
Dr. Peter Bartmann, Diakonisches Werk der EKD
Dr. Anja Dieterich, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Forschungsgruppe Public Health
Simone Ehm, Evangelische Akademie zu Berlin
Freitag, 4. Juni 2010
12.00 Uhr Anreise und Anmeldung
12.45 Uhr Mittagsimbiss
13.30 Uhr Was ist Primary Health Care?
Begrüßung und Einführung
14.00 Uhr Welche Primärversorgung nützt den Bürgerinnen und Bürgern?
Perspektive der Versicherten:
Klaus Zok, Wissenschaftliches Institut der AOK
Perspektive der Patientinnen und Patienten mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen:
Norbert Schumacher, Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V., Berlin
Perspektive der sozial Benachteiligten:
Dr. Frauke Ishorst-Witte, Ärztin, Diakonisches Werk Hamburg
Perspektive eines Gemeindepfarrers:
Jörg Machel, Pfarrer der Emmaus-Ölberg-Gemeinde, Berlin
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr Warum muss Deutschland über eine neue Praxis der Primärversorgung nachdenken?
Diskussion mit den Referentinnen und Referenten des Tages
18.00 Uhr Abendessen
19.30 Uhr Offener Abend mit Musik von Joachim Hodeige, Berlin
Samstag, 5. Juni 2010
9.00 Uhr „.. macht Kranke gesund!“
Der christliche Heilungsauftrag heute
Andacht
Dr. Peter Bartmann, Diakonisches Werk der EKD
NEUE KONZEPTE DER PRIMÄRVERSORGUNG
9.30 Uhr Von der hausarztzentrierten Versorgung zu bevölkerungsorientierten Konzepten
Das Bellagio-Modell zur Bewertung und Weiterentwicklung der Primärversorgung
Sophia Schlette, MPH, Kaiser Permanente Institute for Health Policy, Oakland, Kalifornien
10.00 Uhr Neue Primärversorgungsmodelle in Deutschland
Prof. Dr. Jochen Gensichen, Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Jena
10.30 Uhr Pause
11.00 Uhr Innovative Modelle der Primärversorgung - Chancen für einen besseren Hilfemix
Dr. Josefine Heusinger, Institut für gerontologische Forschung, Berlin
11.30 Uhr Primärversorgung 2020 in Deutschland:
Steuerung, lokale Vernetzung, Rolle der Gesundheitsberufe
Reiner Glasmacher, Hauptabteilungsleiter Leistungen, Verträge und Pflege, Barmer GEK
Sophia Schlette
Prof. Dr. Jochen Gensichen
Dr. Josefine Heusinger
13.00 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung
Wir möchten Sie darüber informieren, dass diese Veranstaltung inzwischen von der Ärztekammer Berlin für die ärztliche Fortbildung mit 9 Punkten zertifiziert wurde.
Mit freundlicher Unterstützung von unserem Sponsor: BKK Diakonie