Als 1902 der Campanile von San Marco in Venedig in sich zusammenstürzte, war es für das gesamte Abendland selbstverständlich, dass der Turm schnellstens wieder errichtet werden müsse - und zwar in der historischen Gestalt. Schwieriger ist die Frage, ob man in Deutschland Gebäude, die im II. Weltkrieg zerstört wurden, rekonstruieren darf, als sei nichts gewesen. Noch einmal schwieriger wird die Frage, wenn es sich um Gebäude handelt, deren Kriegsruinen in der Ära des ’realen Sozialismus’ abgeräumt und durch eine Bebauung ersetzt wurden, die die Geschichte bewusst konterkarieren sollte. Dieser doppelt schwierige Fall liegt bei den aktuellen Rekonstruktionen des Berliner Schlosses und des Potsdamer Stadtschlosses vor. Unsere Exkursion zu den beiden Standorten geht diesen Fragen auf den Grund. Wir werden aufgefordert, uns mit kontroversen Antworten auseinander zu setzen.
Das Schloss in Berlin hat eine Geschichte, die nicht mit seiner Zerstörung – 1945 durch Krieg, 1950/51 endgültig durch Abriss der Ruinen – endet. Es hat eine Gegenwart mit einer riesigen Rasenfläche, Fundamenten und einem Portal, mit Plänen und Visionen. Wie ist seine Zukunft, mitten in Berlin, an einem Ort nationaler Repräsentation? Geldnöte zwingen zum Aufschub. Wenn auch der Bau ruht, darf doch die Diskussion nicht zur Ruhe kommen. Man sollte die Zeit nutzen. Dr. Bruno Flierl, Zeit seines Berufslebens und weit darüber hinaus der Mitte Berlins verpflichtet, wird dazu Denkanstöße geben.
Das Potsdamer Stadtschloss formte zusammen mit dem Rathaus und der Nikolaikirche den Alten Markt, einen der schönsten Plätze Europas. Gegen Ende des II. Weltkrieges zerstörten Bomben das Gebäude bis auf die Außenmauern. Um Platz für die Umgestaltung der Stadtmitte zum Zentrum der sozialistischen Bezirksstadt zu schaffen, verfügte die DDR-Regierung 1959 den Flächenabriss der Potsdamer Mitte einschließlich der Schlossruine. Quer über den Schloss-Standort wurde eine vierspurige Strasse gelegt. Der zur Wende im Rohbau fertige Theater-Neubau wurde 1991 nach dem freien Willen der Stadtverordneten abgerissen, um die behutsame Annäherung an den historischen Stadtgrundriss einschließlich des Wiederaufbaus des Stadtschlosses zu ermöglichen. Zehn Jahre dauerte es, bis das Fortunaportal durch private Spenden rekonstruiert werden konnte. 2005 beschloss der Landtag, seinen Sitz am Alten Markt in der Mitte der Landeshauptstadt zu nehmen. Eine private Großspende stellt die vom Landtag beschlossene weitgehende Rekonstruktion der historischen äußeren Gestalt des Gebäudes sicher. Die Straße wurde mitsamt der Straßenbahn verlegt. Im Frühjahr 2010 begann der Wiederaufbau. Christian Wendland, Architekt und Bürger der Stadt, wird uns erläutern, warum er sich für die Erhaltung bzw. Wiedergewinnung der städtebaulichen Qualität der historischen Stadt eingesetzt hat.
Dr. Rüdiger Sachau
Evangelische Akademie zu Berlin
Hans Tödtmann
Helga Wetzel
Arbeitskreis Stadtpolitik
Das Schloss in Berlin
9.00 Uhr Treffpunkt in der Theologischen Fakultät der Humboldt Universität
Großer Hörsaal in der Burgstraße 26 (S-Bahnhof Hackescher Markt)
Vortrag und Gespräch mit Dr. Bruno Flierl, Bauhistoriker und Architekturkritiker
10.30 Uhr Gemeinsamer Weg zum Schlossplatz
Erläuterungen vor Ort
12.03 Uhr Abfahrt vom Bahnhof Alexanderplatz mit Regionalzug nach Potsdam
anschließend Mittagspause mit Imbiss im Potsdamer Hauptbahnhof
Fußweg zum Alten Markt
Das Potsdamer Stadtschloss
Treffpunkt Alter Markt am Obelisk vor der Nikolaikirche
13.30 Uhr Einführung und Blick über die Landtags-Baustelle
Fachhochschule am Alten Markt
14.00 Uhr Menschen haben Erinnerungen – die Wiedergewinnung der städtebaulichen Qualität der historischen Stadt
Vortrag mit Diskussion, Christian Wendland, Architekt
15.15 Uhr Bedeutung der Wiedergewinnung der Alten Mitte für die Nikolai-Kirchengemeinde
Gespräch mit einem Vertreter der Gemeinde
16.00 Uhr Aufstieg zum Turm der Nikolaikirche, Blick auf die Alte Mitte
alternativ: Neuer Markt, Freilichtmuseum der Spolien vom Stadtschloss
16.30 Uhr Ende der Exkursion und Rückkehr nach Berlin