Christliche Mission – fast reflexhaft folgt dem Begriff der Verweis auf eine machthungrige Kirche, ihre Verstrickung in die Kolonialgeschichte und neuerdings der Hinweis auf scheinbar fundamentalistisch motivierte heimliche Einsätze von Christen in fremden Ländern. Positiv besetzt sind hingegen humanitäre Missionen und niemand hat Einwände, wenn Unternehmen und Organisationen ihr zentrales Anliegen als „Mission-Statement“ formulieren. Humanitäre Missionen wollen Situationen verändern, jedes Mission-Statement will überzeugen – aber wenn jemand andere Menschen von seinem Glauben überzeugen will, wenn Religion überzeugen will, wird das gesellschaftlich schnell negativ bewertet und eine fundamentalistische Gesinnung unterstellt.
Mission - die christlichen Kirchen haben sich zu ihrer historischen Schuld bekannt und im Gespräch zwischen Christen aus Süd und Nord und mit den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften
Konsequenzen gezogen. Unter Fachleuten herrscht längst das Verständnis einer einladenden und dialogischen Mission, die Bekehrungsversuche als einseitige Verengung ansieht. Was macht dann Mission weiterhin zum Schmerzpunkt? Was ist dran an Mission und Glaube? Darf man versuchen andere von allem zu überzeugen – nur nicht vom Glauben?
Wir stellen diese Fragen in einer Situation, in der die Evangelische Kirche in Deutschland seit der Missionssynode 1999 bemüht ist, ihren missionarischen Auftrag im eigenen Land neu zu erkennen. Mission wird 2011 wieder auf der Tagesordnung der EKD-Synode stehen. Das geschieht im Horizont einer Kirche, die Mitgliedschafts- und Bedeutungsverluste hinzunehmen hat. Hinter dem missionarischen Aufbruch kann der Versuch gesehen werden, die Kirche zu retten – von ihrem Selbstverständnis will Mission als Wesensäußerung des christlichen Glaubens verstanden werden, als Ausdruck einer lebendigen Religionsgemeinschaft, die mit Gewissheit in die Zukunft geht.
Historische Fragen und die Strategien eines missionarischen Aufbruchs der Kirche sind der Hintergrund unserer Tagung. Wir wollen über Mission nachdenken, indem wir uns mit den inneren Konflikten und folgenden Fragen auseinandersetzen. Kann die christliche Botschaft andere Menschen überzeugen und dadurch verändern? Ist solche Veränderung, biblisch Umkehr, möglich? Überschreitet die Ansprache des Fremden dessen persönliche
Grenzen und wird intimitätsverletzend? Lebt Mission etwa von der Suggestion einer von Zweifel freien Sicherheit der Überzeugung, den richtigen Glauben zu vertreten? Schließlich fragen wir, warum in einer Welt permanenter Überschreitungen der Kulturgrenzen durch Mobilität und Kommunikation ausgerechnet die religiösen Grenzen tabuisiert werden?
Wir haben diese Fragen „Schmerzpunkte“ genannt, weil sie in der Sache der Mission selber liegen. Ihnen wollen wir mit dieser Tagung nachgehen und laden dazu ein, sich an diesem Prozess
des Nachdenkens und Austauschens zu beteiligen.
Dr. Rüdiger Sachau, Evangelische Akademie zu Berlin
Christoph Anders, Evangelisches Missionswerk in Deutschland e.V.
Dr. Michael Biehl, Missionsakademie an der Universität Hamburg
OKR Wolfgang Vogelmann, Nordelbisches Kirchenamt
Freitag, 26. März 2010
17.00 Uhr Ankunft und Anmeldung
18.00 Uhr Begrüßung
Zwischen Missionsauftrag und Toleranzverpflichtung
18.30 Uhr Ein schmerzlicher Bericht
Irrwege der Mission im Spiegel der Medien
Im Juni 2009 wurden im Jemen Mitarbeiter(innen) einer christlichen Hilfsorganisation überfallen, drei Frauen wurden ermordet, eine Familie aus Sachsen ist bis heute entführt. In der medialen Berichterstattung wurde das Bild von Christen gezeichnet, die unter Einsatz ihres Lebens in der islamischen Welt missionieren. Die EKD hat den Tenor dieser Berichterstattung zurückgewiesen und sich zugleich von einem fundamentalistischen Missionsverständnis abgegrenzt. Wir fragen, welche Bilder von Mission sich in der Berichterstattung spiegeln und was die öffentlichen Diskurse über Mission mitteilen.
Filmbeiträge aus Frontal 21 (ZDF) und Panorama (ARD)
Gesprächsimpulse
Ulrich Stoll, Redakteur Frontal 21, ZDF-Hauptstadtstudio, Berlin
Anna Orth, Sonia Mayr, Redaktion Panorama, NDR, Hamburg
Angelika Obert, Rundfunk- und Filmbeauftragte der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Berlin
Christoph Anders, Direktor des Evangelischen Missionswerkes in Deutschland e. V., Hamburg
20.30 Uhr Abendessen
Samstag, 27. März 2010
9.00 Uhr Mit der Bibel im Gespräch
Viola Kennert, Leiterin des Pastoralkollegs der EKBO, Berlin
10.00 Uhr Schmerzpunkt Bekehrung
Wie kommen Menschen zu neuen Überzeugungen?
Menschen sollen vom jeweils Besseren überzeugt werden: Jugendliche sollen erzogen, Straffällige gebessert, Ideologen aufgeklärt werden. Wie ist das eigentlich möglich? Unter welchen Voraussetzungen sind Menschen nicht nur bereit, sondern auch fähig, zu neuen Überzeugungen zu gelangen? Welche Rolle spielt dabei der christliche Glaube?
Gesprächsimpulse
Pastor Dr. Matthias Clausen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Ernst Moritz Arndt Universität Greifswald
Prof. Dr. Gerald Wolf, Neurobiologe, Magdeburg
12.00 Uhr Vorstellung der Arbeitsgruppen für den Nachmittag
12.30 Uhr Mittagessen
15.00 Uhr Arbeitsgruppen
A. Schmerzpunkt Intimitätsverletzung
Oft hört man, heute sei leichter über Sexualität oder Geld zu sprechen als über die eigene Religiosität. Wer von seinen innersten Überzeugungen spricht, macht nicht nur sich verletzlich, sondern kann auch leicht den Gesprächspartner in eine Situation der Peinlichkeit bringen. Religiös geprägtes Überzeugen-Wollen - steht anders als z.B. politisch geprägte Meinungsbildung - in der Gefahr der Intimitätsverletzung. Kann man glaubwürdig über Religion reden, ohne an intimste Fragen der Existenz zu rühren? In Deutschland vollzieht sich heute Mission unter individualisierten Bedingungen. Groß ist das gesellschaftliche Misstrauen gegenüber jedem religiösen Wettbewerb. Religion soll Privatsache bleiben, um jede Auseinandersetzung um letzte Wahrheiten zu vermeiden. Wer seinen Glauben öffentlich macht und dazu einlädt, berührt ein Tabu, das möglicherweise schon im Schwinden ist?
Moderation: Christoph Anders
B. Schmerzpunkt Selbstzweifel
Jeder Versuch, den eigenen Glauben zu bezeugen und andere für diesen begeistern zu wollen, setzt eigene Überzeugungen voraus, die aber stets mit Selbstzweifeln behaftet sind. Denn die Moderne ist durch eine Vielzahl von Wahl oder Abwahlmöglichkeiten auch im Feld der Religion bestimmt. Wo religiöse Selbstverständlichkeiten bröckeln, wird die individualisierte Religiosität unsicher. Wer anderen von eigenen Erfahrungen berichtet, stützt sich auf plausible Erlebnisse oder sichtbare Ergebnisse. Doch die Kommunikation von religiösen Erfahrungen stößt auf Schwierigkeiten: Wie kann ich meine Begeisterung plausibel und nachvollziehbar begründen? Halten die eigenen Erfahrungen und Gewissheiten den Anforderungen an Plausibilität stand? Wenn das eigene Lebenskonzept einer kritischen Überprüfung unterzogen wird, trifft man auf die eigene Unsicherheit, wo doch Verbindlichkeit und Klarheit gefordert wären.
Moderation:OKR Wolfgang Vogelmann
C. Schmerzpunkt Passivität
Mission bedeutet Ansprache, sie löst im Adressaten einen Prozess aus. Abwehr, Zweifel aber auch wachsende Überzeugung können die Folge sein. Wenn Menschen sich missionarisch ansprechen lassen, sind sie dann an dem Vorgang beteiligt? In der Studie „Wie finden Erwachsene zum Glauben?“ der Universität Greifswald wurde empirisch untersucht, wie Menschen den christlichen Glauben neu entdecken oder wieder aktualisieren. Was aber heißt „den Glauben finden“, ist das ein aktiver Vorgang? Gibt es ein anderes Subjekt, dem wir passiv ausgesetzt sind?
Impuls: PD Dr. Johannes Zimmermann, Greifswald
Moderation: Dr. Michael Biehl
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr Schmerzpunkt kulturelle Grenzüberschreitung
Kann und darf es religiösen Wettstreit geben?
„Mission zerstört andere Kulturen“. Was bedeutet dieser häufig zu hörende Vorwurf heute in einer Welt der permanenten Kulturüberschreitungen durch Kommunikation und Mobilität? Was bedeutet es für unseren Diskurs über Kultur(en), dass die Religion einer Bevölkerung als eine Einheit erscheint, die durch Mission verletzt wird? Begegnen wir hier einem „religiösen Protektionismus“ oder drückt sich daran ein Verständnis von Kulturblöcken aus, deren Identität in der Religion liegt? Zugleich erfahren wir, dass andere Kulturen uns als missionsbedürftig ansehen. Angesichts der Phänomene der Transkulturalität und der Veränderungen von Gesellschaften in z.B. Afrika und China durch westlich orientierte Bildung und Wirtschaft bleibt die Frage, warum ausgerechnet die Religion von diesen Prozessen des Austausches ausgeschlossen werden sollte - und zwar in beide Richtungen.
Gesprächsimpulse
Daniel Bax, Journalist, Redaktion taz, Berlin
Prof. Dr. Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin, Humboldt Universität zu Berlin
18.30 Uhr Abendessen
19.30 Uhr Einführung in den Film
Angelika Obert, Rundfunk- und Filmbeauftragte der EKBO, Berlin
20.00 Uhr „Mission“
Film von Roland Joffé (1986) mit Robert De Niro und Jeremy Irons (dt. 120 Min.)
anschließend Diskussion
Sonntag, 28. März 2010
9.30 Uhr Schmerzlich unaufgebbar – unaufgebbar schmerzlich?
Andacht am Sonntag
10.30 Uhr Am Ende:
Mission? Darf man andere Menschen von seiner Religion überzeugen wollen?
Am Ende des Prozesses kehren wir zu den Ausgangsfragen zurück. Haben wir etwas an und zu den Schmerzpunkten gelernt? Gibt es Antworten, die tragen, oder haben sich die Fragen verändert? Was lässt sich am Ende zu Mission festhalten? Muss man sie beenden oder können Dimensionen christlicher Mission benannt werden, die an den Schmerzpunkten gereift sind? Können wir von daher dem öffentlichen Bild von Mission etwas entgegensetzen? Diesen Fragen und denen, die während des gemeinsamen Nachdenkens entstanden sind, wollen wir in einer Abschlussreflexion nachgehen.
Gesprächsimpulse
Wolfgang Vogelmann, Nordelbisches Kirchenamt, Kiel
Dr. Michael Biehl, Missionsakademie an der Universität Hamburg
12.30 Uhr Mittagessen und voraussichtlich
gegen 13.30 Uhr Ende der Tagung