„Wir haben erfahren, dass Realismus keine unveränderliche Kategorie ist, dass er nicht nur darin besteht, mit den gegebenen Bedingungen zu rechnen. Realismus ist auch die Kreation neuer Möglichkeiten.“
Tadeusz Mazowiecki, Fragen an uns selbst (1985)
Das Zitat stammt aus einem Aufsatz, in dem Tadeusz Mazowiecki im Jahre 1985 sich selbst und seine Landsleute fragt, ob die jüngste polnische Erfahrung lediglich eine „Wiederholung der Geschichte“ sei, eine Zeit des Zusammenbruchs großer Hoffnungen – oder „geschenkte Zeit“, die qualitativ ganz neue Antworten verlangt.
Ein Vierteljahrhundert später scheint es, dass Mazowiecki mit diesem Satz nicht nur auf die geistigen Herausforderungen des Jahres 1985 reagiert hat. Früh mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts konfrontiert, musste er als glaubender Christ, als denkender Mensch und handelnder Bürger immer aufs Neue Antworten finden, die über den Tag hinaus Hoffnung begründeten.
Sei es in seiner Publizistik als Chefredakteur der katholischen Monatszeitschrift Więź
oder im werbenden Eintreten für die Versöhnung von Polen und Deutschen,
sei es in seiner Rolle als Vordenker und Protagonist der demokratischen Opposition,
als Berater der Solidarność und Chefredakteur der gleichnamigen Wochenzeitung,
sei es als der erste frei gewählte, nichtkommunistische Premierminister Polens, der sein Land im Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft führte,
sei es im konsequenten Eintreten für die europäische Einigung und eine konstruktive Rolle Polens in diesem Prozess
– stets ist das öffentliche Handeln Tadeusz Mazowieckis durch die Überzeugung gekennzeichnet, dass die Achtung der Freiheit und Würde des Menschen, die Verteidigung der grundlegenden Menschen- und Bürgerrechte erste Christenpflicht ist und genau darin die „Kreation neuer Möglichkeiten“ besteht.
Wir freuen uns sehr, dass wir Tadeusz Mazowiecki in der Evangelischen Akademie begrüßen können. Der Abend ist den Erfahrungen seines Lebens gewidmet – und den Antworten darauf, die sich zu einem großen Lebenswerk fügen.
Wir laden herzlich dazu ein.
Ludwig Mehlhorn
Evangelische Akademie zu Berlin
gemeinsam mit
dem Europäischen Netzwerk „Erinnerung und Solidarität“
18.00 Uhr Begrüßung
Dr. Rüdiger Sachau, Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin
18.05 Uhr Einführung in das Thema „Realismus als Kreation neuer Möglichkeiten“
Dr. Burkhard Olschowsky, Historiker, Oldenburg
Raphael Krüger, Publizist, Berlin
18.15 Uhr Filmaufführung „20 Jahre Regierung Mazowiecki“
Regie: Ewa Szprynger, 2009
18.30 Uhr Gespräch mit Tadeusz Mazowiecki
Moderation: Dr. Burkhard Olschowsky, Raphael Krüger
19.30 Uhr Fragen aus dem Publikum
Ende gegen 20.00 Uhr
Simultanübersetzung: Dr. Piotr Olszówka und Tomasz Olszówka
Gefördert durch: Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages