Das Gesundheitswesen ist ein zentraler Bereich der Demokratie. Jede und jeder hat in ihm eine Rolle - als Patient oder Patientin, als Mitglied der Versichertengemeinschaft, als Leistungserbringer oder Warenanbieter. Ziel eines sozialstaatlich und demokratisch organisierten Gesundheitswesens ist die gesundheitliche Verbesserung der gesamten Bevölkerung auf der Grundlage eines solidarischen Finanzierungssystems. Partikularinteressen einzelner Gruppen müssen sich diesem Gesamtziel unterordnen. Die Beiträge der Versicherten und Steuerzahler finanzieren das System. Trotzdem ist ihr Einfluss gering, und auch um die Rechte der Patienten ist es nicht allzu gut bestellt. Interessenvertretung und Lobbyismus stellen im Gesundheitswesen also eine besondere demokratische Herausforderung dar: Aus den Partikularinteressen der Beteiligten erwachsen Konflikte, und der Staat hat für einen gerechten Ausgleich der Interessen aller Beteiligten zu sorgen.
Warenanbieter und Leistungserbringer im Gesundheitswesen nutzen ihre Macht häufig zu unverantwortlicher Einflussnahme und zum persönlichen und unternehmerischen Vorteil. Patienten und Versicherte erkennen kaum, dass die gigantischen Marketing-Budgets der Hersteller in die Kosten unseres Gesundheitssystems eingehen und das gesamte System verseuchen, weil Wirtschaftsinteressen vor Gesundheitsinteressen rangieren. Finanzielle Zuwendungen von Warenanbietern an Ärzteorganisationen und Fachgesellschaften beispielsweise sind gesundheits-politisch und sozialethisch nicht zu rechtfertigen. Das öffentliche Unbehagen über diese Mittelverschwendung ist in den letzten beiden Jahrzehnten stetig gewachsen.
Mit Beteiligten aus allen Sparten des Gesundheitswesens diskutieren wir über Möglichkeiten und Grenzen des Lobbying und die Gefahren und Konsequenzen von Interessenkonflikten im Gesundheitssystem. Erörtert werden u.a. Selbstverpflichtungen auf der Herstellerseite wie der Kodex der Freiwilligen Selbstkontrolle der Arzneimittelhersteller (FSA) und auch Selbstverpflichtungserklärungen von Seiten der Empfänger. Da Transparenz allein nicht ausreicht, schädliche Interessenkonflikte einzudämmen, sollen auch andere Maßnahmen auf organisatorischer, politischer und gesellschaftlicher Ebene diskutiert werden. Strategien zur Eindämmung des Konfliktpotentials sind das Ziel.
Wir laden Sie herzlich ein!
Simone Ehm
Evangelische Akademie zu Berlin
Dr. Angela Spelsberg
Transparency International Deutschland e.V., Berlin
Dr. Anke Martiny
Transparency International Deutschland e.V., Berlin
Eine Kooperation mit Transparency International Deutschland e.V., Berlin
Gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung
Einige Beiträge zur Tagung finden Sie unter folgendem Link: http://www.eaberlin.de/8287199A5E354FB5A595360C2B9FEE18.php
Montag, 26. September 2011
9.45 Uhr Anmeldung und Begrüßungskaffee
10.45 Uhr Begrüßung und Einführung
Simone Ehm, Evangelische Akademie zu Berlin
Dr. Angela Spelsberg, Transparency International Deutschland e. V., Berlin
I. INTERESSENVERTRETUNG – INTERESSENKONFLIKT
Der Stand der Dinge im Gesundheitswesen
11.00 Uhr Zivilgesellschaftliche Ansprüche an eine glaubwürdige Interessenvertretung im Gesundheitswesen
Prof. Dr. Edda Müller, Transparency International Deutschland e.V., Berlin
11.45 Uhr Gesundheitspolitik im sozialen Rechtsstaat
Prof. Dr. Felix Welti, Humanwissenschaften, Universität Kassel; EKD-ad-hoc-Kommission zu den aktuellen Herausforderungen im Gesundheitswesen
12.30 Uhr Mittagessen
13.30 Uhr Die Interessen-Unabhängigkeit der Ärzteschaft - eine Chimäre?
Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, ehem. Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Berlin
14.15 Uhr Interessenkonflikte und Medizinische Forschung – (Wie) Kann sich Evidenzbasierte Medizin behaupten?
Prof. Dr. David Klemperer, Netzwerk Evidenzbasierte Medizin, Fachhochschule Regensburg
15.00 Uhr Kaffeepause
II. INTERESSENVERTRETUNG - INTERESSENAUSGLEICH
15.30 Uhr Chancen und Defizite für Patienten und Versicherte heute
Helga Kühn-Mengel, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V., Berlin
16.00 Uhr Von der Schwierigkeit, Patienteninteressen zu organisieren
Dr. Ilona Köster-Steinebach, Referentin Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen, Verbraucherzentrale Bundesverband, Berlin
16.30 Uhr Kleine Pause
16.45 Uhr Zwischen Absatzinteressen und Gesetzesnormen – Was darf die Wirtschaft?
Armin Huttenlocher, Geschäftsführer und Partner von Fleishman-Hillard Germany GmbH, Public Affairs, Berlin
17.15 Uhr Mitten im Konflikt – die Selbsthilfe
Dr. Martin Danner, Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, Düsseldorf
17.45 Uhr Interessenkonflikte im Gesundheitswesen - Gefahren und Konsequenzen für die organisierten Patienteninteressen
Diskussion mit den Referierenden und dem Publikum
Moderation: Dr. Adelheid Müller-Lissner, Journalistin, Berlin
19.00 Uhr Abendessen und offener Ausklang
Dienstag, 27. September 2011
9.30 Uhr Parteien und Parlament als Partner der Lobbyisten – Anatomie eines Erfolgsmodells
Prof. Dr. Thomas Leif, Chefreporter, SWR Fernsehen, Wiesbaden
10.15 Uhr Vollzugsdefizite im Gesundheitswesen
Dina Michels, Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, KKH-Allianz, Hannover
11.00 Uhr Kaffeepause
III. LOBBYISMUS UND GLAUBWÜRDIGKEIT
Was trägt zur Ausbalancierung von Interessengegensätzen bei?
11.15 Uhr Statt „best practice“ allgemeine Praxis – Konkrete Schritte gegen falsche Einflussnahmen
Dr. Eva Högl, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied im Rechtsausschuss, Berlin
Dr. Günter Metzges, Campact e. V., Verden
12.15 Uhr Mittagessen
13.15 Uhr Der informierte Patient zwischen Mündigkeit und Überforderung - Wie kommen wir an unabhängige und qualitätsgesicherte Informationen?
Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser, Universität Hamburg, MIN Fakultät Gesundheitswissenschaften, Hamburg
14.00 Uhr Die politische Repräsentanz schwacher Interessen
Prof. Dr. Thomas von Winter, apl. Professor für Politikwissenschaften, Universität Potsdam,
14.30 Uhr Verantwortliche Interessenpolitik – unverantwortliche Einflussnahme
Gespräch mit Wolfgang Wodarg, Leiter der AG Gesundheit, TI Deutschland e.V., Berlin, den Referierenden und dem Publikum
Moderation: Dr. Anke Martiny, Transparency International Deutschland e. V., Berlin
Ende gegen 15.30 Uhr