Gewalt, Zerstörung und Vernichtung sind essentielle Teile der Erinnerung an das 20. Jahrhundert. Die totalitären Systeme und die Weltkriege haben Millionen Menschen das Leben gekostet. Zahlreiche Orte in ganz Europa wurden in Mitleidenschaft gezogen – sie sind zerstört oder gänzlich von der Landkarte verschwunden. Während Verbrechen wie in Lidice, Oradour-sur-Glane oder Coventry als Symbol für unmenschliche Taten in (trans-)nationale Narrative eingegangen sind, haben andere Akte der Vernichtung kaum Spuren im kollektiven Gedächtnis von Gesellschaften oder Gruppen hinterlassen. Sie fanden nicht Eingang in die Sphäre einer breiteren Opfererzählung. Manche Orte überlebten allein in dem Wissen und der Trauer von Hinterbliebenen oder erhielten durch historische Forschungen Aufmerksamkeit
Das 13. ost-westeuropäischeGedenkstättentreffen in Kreisau thematisiert die „verschwundenen Orte“ - Erinnerungsorte, die Geschichte erzählen, die mahnen und pars pro toto an Gewaltakte erinnern. Der Begriff „Erinnerungsorte“ wird dabei in Anlehnung an Pierre Noras „lieux de mémoire“ weit gefasst. Aufgrund der Kriege und politischer Umbrüche, der Zwangsumsiedlungen von Millionen Menschen und den vollzogenen Grenzveränderungen bekamen historische Erfahrungsräume neue Bedeutungen oder gingen zum Teil verloren. Verschränkungen und Mehrfachkodierungen ein- und desselben Gedächtnisortes sind insbesondere für Ostmitteleuropa charakteristisch.
Wir laden Historiker, Ausstellungsmacher sowie Mitarbeiter von Zeitzeugenprojekten und Erinnerungsstätten zum disziplinübergreifenden Austausch. Folgende Fragen sind u.a. zu stellen: Was unterscheidet die Erinnerung an Orte, die real existieren, von der an ausgelöschte historische Stätten? Wie gehen Gedenkstätten und Museen mit Orten um, die zwar physisch, nicht jedoch aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden sind? Wie verändern sich die Erinnerung und das Gedenken an Orten, wenn Zeitzeugen als Bindeglieder zur Vergangenheit fehlen?
Auf diesen Treffen sollen Erfahrungen aus der Ausstellungspraxis ausgetauscht und aktuelle Formen der digitalen Darstellung und Internetpräsenz im Rahmen der historisch-politischen Bildung erörtert werden. Schließlich soll auch über mögliche Grenzen der Erinnerung diskutiert werden. Welche Funktion und Wirkung kann dem Vergessen zukommen?
Dr. Jacqueline Boysen - Dominik Kretschmann - Dr. Burkhard Olschowsky -Dr. Dominik Pick
Eine Kooperation von Stiftung Kreisau, Evangelische Akademie zu Berlin, Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.
Mittwoch, 25. März 2015
ab 17:00 Anreise – Zimmerbelegung – Kaffee
18:00–19:00 Abendessen
19:00–20:30 Besuch des Berghauses, kurze Einführung in die Geschichte des Ortes
Einführung in das Programm durch die Veranstalter, Vorstellungsrunde
anschließend geselliger Abend zum Kennenlernen und Austauschen
Donnerstag, 26. März 2015
09:30–11:00 Herausforderungen europäischer Erinnerungen
Prof. Dr. Étienne François, „Lieux de memoire“.
Kommentar: Prof. Dr. Jochen Roose, Willy-Brandt-Zentrum, Breslau
Diskussion
Moderation: Dr. Jacqueline Boysen
11:00–11:30 Kaffeepause
11:30–13:00 Verschwundene Erinnerungsorte. Erinnern ohne Orte.
PhDr. Stanislav Kokoška, Lidice Denkmal. Vergangenheit und Zukunft
Richard Jezierski, Oradour-sur-Glane. Die Ruinen und die Erinnerung
Dr. Tomasz Kranz, Fundamente der Erinnerung. Sichtbare und unsichtbare Zeugnisse der NS-Verbrechen am Ort des früheren Vernichtungslagers in Sobibór -
Moderation: Dr. Dominik Pick
13:00–14:30 Mittagspause
14:30–16:00 Verschwundene Erinnerungsorte. Erinnern ohne Zeitzeugen.
Dr. Juliane Haubold-Stolle, Verschwindende Erinnerung an deutsche Soldaten in Mittel- und Osteuropa
Lolita Tomsone, Die Erinnerung an Jānis Lipke und die Rettung estnischer Juden
N.N. (Memorial), Letzte Adresse. Erinnerung an Opfer kommunistischer Gewalt
Moderation: Dr. Burkhard Olschowsky
16.00-16.30 Kaffeepause
16:30–18:30 Virtuelle Erinnerung. Virtuelle Rekonstruktion.
Dr. Arnulf Scriba, Lebendiges Museum Online
Dr. David Barnouw, Verschwundene Orte im Film
N.N. (Memorial), Virtual Museum of the Gulag
Moderation: Dominik Kretschmann
18:30–19:30 Abendessen
ab 19.30 Kontaktbörse
Freitag, 27. März 2015
09:30–11:30 (Um)Deutungen von Stätten nationalsozialistischer und kommunistischer Gewalt.
Dr. Rikola-Gunnar Lüttgenau, Buchenwald als doppelter Erinnerungsort
Dr. Violetta Rezler-Wasielewska, Łambinowice. Vielschichtiger Erinnerungsort
Tatyana Kursina, Perm 36
Moderation: Dr. Juliane Haubold-Stolle (Volksbund)
11:30–12:00 Kaffeepause
12.00 – 13.00 Projektpräsentationen
13:00–14:00 Abfahrt nach Breslau/Wrocław
14.00-15.00 Mittagessen
15:00 Renata Bardzik-Miłosz, Breslau gestern – Wrocław heute
19:00 Abendessen
Samstag, 28. März 2015
09:30–11:30 Grenzen der Erinnerung. Wie viel und wie lange kann erinnert werden?
Dr. Guido Vaglio, Museo Diffuso di Torino
Dr. Vera Dubina, Möglichkeiten und Probleme der Gedenkstättenarbeit
Prof. Dr. Ulrich Pfeil, Villages phantômes der Schlacht von Verdun
Moderation: Dr. Andrea Genest
11:30–12:00 Auswertungsrunde und Ideen für das nächste Mal
Tagungssprachen (Simultanübersetzung): Deutsch, Polnisch, Russisch
Stand: 23.01.2015 Änderungen vorbehalten!