Eroberungswille und Regierungsform des Islamischen Staates (IS) gehen auf die Lehren seines Gründers Abu Mus’ab al-Zarqawi aus den späten 1990er Jahren zurück. Jedoch verschafften erst das Bürgerkriegschaos in Syrien, die Schwäche des irakischen Staatsapparats und der anti-sunnitische Kurs von Ministerpräsident Nuri al-Maliki dem IS die Gelegenheit, Territorium zu erobern. Mit der territorialen Kontrolle über weite Teile Syriens und Iraks umfasst er ein Gebiet von der Größe Großbritanniens. In seinen Grenzen saturiert ist er indes nicht; das Kalifat wähnt sich in einem immerwährenden Krieg mit dem Ziel, sich weltweit auszubreiten. Mit seinen territorialen Eroberungen und Erfolgen im Staatsaufbau hat sich der IS zu einem Komplex entwickelt, dem sich weit über Syrien und Irak hinaus andere dschihadistische Akteure anschließen. Mit Luftangriffen oder Waffenlieferungen an seine Gegner lässt sich das Vordringen des IS zwar verlangsamen, aufhalten und teilweise zurückdrängen. Die Ursachen für den Aufstieg gewaltsamer Extremistengruppen sind damit aber nicht zu beseitigen.
Die auf Seiten des IS kämpfenden Ausländer gelten in Deutschland als Sicherheitsrisiko, weil sie nach ihrer Rückkehr Anschläge verüben könnten. Über geeignete Gegenmaßnahmen sind sich Politiker und Sicherheitsbehörden uneinig. Zu wenig ist noch bekannt, warum Einzelne oder Gruppen nach Syrien oder in den Irak ausreisen, was sie dort tun und warum sie wieder nach Deutschland oder in andere europäische Staaten zurückkehren. Der IS gilt als Experimentierfeld einer normativen Ordnung, die sich als Gegenmodell zu Demokratie und Menschenrechten versteht und an die Stelle der Gleichberechtigung der Geschlechter männliche Dominanz, allgemeine Geschlechtertrennung sowie umfassende Kontrolle der Sexualität setzt. Junge Männer und Frauen, die den IS unterstützen oder dorthin auswandern, heroisieren und romantisieren diese Gendervorstellungen, die an Koran und islamische Überlieferungen angelehnt werden.
Das Friedensgutachten wird seit 1987 jährlich von den fünf Instituten für Friedens- und Konfliktforschung in der Bundesrepublik herausgegeben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen untersuchen die internationale Konfliktrealität aus friedensstrategischer Perspektive. Die Herausgeberinnen und Herausgeber ziehen Bilanz, pointieren die Ergebnisse und formulieren Empfehlungen für die Friedens- und Sicherheitspolitik in Deutschland und Europa.
Das Friedensgutachten 2015 hat das Schwerpunktthema „Deutschlands Verantwortung für den Frieden“. Mit Blick auf die gegenwärtigen Krisen und Kriege in der Ukraine, im Nahen und Mittleren Osten sowie auf regionale Herausforderungen wie die Ausbreitung von Ebola in Westafrika gehen wir der Frage nach, wie verantwortungsvolle Außen- und Sicherheitspolitik praktisch und normativ auszugestalten ist.
Dr. Janet Kursawe
Institut für Entwicklung und Frieden
an der Universität Duisburg-Essen (INEF)
Dr. Rüdiger Sachau
Ev. Akademie zu Berlin