Das NS-Zwangsarbeiterlager der Evangelischen Kirche auf dem Kirchhof Jerusalem und Neue Kirche an der Hermannstraße in Neukölln war das einzige von der Kirche geplante, finanzierte und betriebene Zwangsarbeiterlager in ganz Deutschland. Von 1942 bis 1945 waren hier mehr als 100 junge Männer interniert, als Sechzehn- bis Achtzehnjährige verschleppt aus Weißrussland, Russland und aus der Ukraine. Das etwa 1.500 qm große Lager war versteckt angelegt im hintersten Winkel des Kirchhofs. Nahe am Flughafen Tempelhof gelegen, wurde es mehrfach von Bomben getroffen. 1944 brannte die Wohnbaracke völlig ab. Bis zur Fertigstellung eines Ersatzes mussten die Gefangenen in Provisorien an ihren Arbeitsorten übernachten. An den über die ganze Stadt verteilten Einsatzorten hatten die durch den Schriftzug „Ost“ auf ihrer Kleidung gebranntmarkten Männer Friedhofsarbeiten zu verrichten. Dass das Lager von der Kirche betrieben wurde, spürten sie nicht, die Bedingungen waren menschenunwürdig wie in anderen Lagern auch. Sie litten unter Kälte und Krankheiten, vor allem aber an Hunger und Entkräftung. Im April 1945 wurde das Lager durch die Rote Armee befreit.
Die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Kirchengeschichte begann erst sehr spät. Im Jahr 2000 wurde öffentlich gemacht, dass in Berlin 42 Kirchengemeinden ein gemeinsames Zwangsarbeiterlager betrieben hatten. Eine Forschungsgruppe im Archiv der Evangelischen Landeskirche war mit dem Thema befasst. Später schlossen sich die Gemeinden zu einer Arbeitsgemeinschaft NS-Zwangsarbeit zusammen. Nunmehr ist ein 2014 gegründeter Verein für den Erhalt der Gedenkstätten zuständig.
Als äußeres Zeichen wurde am Eingang des Kirchhofs Jerusalem und Neue Kirche eine Gedenktafel angebracht, dem folgte ein Gedenkstein mit den Namen aller am Lager beteiligten Berliner Kirchengemeinden. Dieser wurde später auf den St.-Thomas-Kirchhof umgesetzt und dient als Versammlungsort für die Gedenkfeiern am Volkstrauertag und für andere Veranstaltungen.
Von 2000 bis 2005 suchten die Kirchengemeinden nach ihren ehemaligen Zwangsarbeitern und nahmen Kontakt zu den Überlebenden auf. Es kam und kommt - nun nur noch mit den Angehörigen – zu sehr bewegenden Begegnungen. Mit der Bitte um Vergebung auf der einen Seite, auf der anderen mit der Bereitschaft zur Versöhnung. 2010 konnte auf dem St.-Thomas-Kirchhof ein Pavillon als Informations- und Bildungszentrum eröffnet werden. Außer Ausstellungstafeln findet man dort auch andere Medien, so einen von Schülern auf einer Reise zu einem ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeiter gedrehten Film. Schon seit Jahren beteiligen sich Schüler aus der Oberstufe der Evangelischen Schule Neukölln an der Erinnerungsarbeit.
Der grasbewachsene authentische Lagerort ist durch eine Gedenktafel gekennzeichnet. 2013 führten dort freiwillige Helfer unter Anleitung eines Archäologen Aufräumarbeiten und erste Untersuchungen durch. Der Lagergrundriss wurde in groben Zügen erkennbar. 2014 folgte die archäologische Hauptuntersuchung. Nun liegen die Fundamente der Baracken offen. Die Landeskirche plant dort eine Neugestaltung der Gedenkstätte und hat Studenten der Design-Fachhochschule Potsdam beauftragt, dafür Vorschläge zu machen. Der Öffentlichkeit des authentischen Ortes wird besondere Bedeutung beigemessen. Im Auftrag des Evangelischen Friedhofsverbandes Berlin Stadtmitte wurde ein Entwicklungskonzept für die Zukunft aller evangelischen Friedhöfe an der Hermannstraße erarbeitet.
Heinz-Joachim Lohmann
Evangelische Akademie zu Berlin
Helga Wetzel
Arbeitskreis Stadtpolitik
Programm
Mittwoch, den 25. Mai 2016
Anfahrt mit S-Bahn-Linien 41, 42, 45, 46 zum Bahnhof Hermannstraße
oder U-Bahn Linie 8 zu den Bahnhöfen Hermannstraße oder Leinestraße
15.00 Uhr Treffpunkt S-Bahnhof Hermannstraße
DR-Service Store, auf der Brücke
Fußweg zum St.-Thomas-Kirchhof
15.15 Uhr Treffpunkt St.-Thomas-Kirchhof, Kapelle (rechts vom Eingang)
15.30 Uhr Ärchäologische Ausgrabungen am Standort des NS-Zwangsarbeiterlagers
Vortrag, anschließend Besichtigung des Lagerstandorts im Kirchhof Jerusalem und Neue Kirche (Fußweg 10 bis 15 Min.)
Torsten Dressler, Archäologiebüro ABD-Dressler
Rückweg zum St.-Thomas-Kirchhof
17.00 Uhr St.-Thomas-Kirchhof, PavillonKurzer Überblick über die Ausstellung zum Lager
17.30 Uhr St.-Thomas-Kirchhof, Kapelle
Vorträge und Gelegenheit, Fragen zu stellen
17.30 Uhr Sich der Geschichte stellen, Opfer finden, Erinnerungen bewahren
und weitergeben
Gerlind Lachenicht, Evangelisches Landeskirchliches Archiv 18.15 Uhr Zukunft für die evangelischen Friedhöfe an der HermannstraßeGenia Krug, Stattbau Stadtentwicklungsgesellschaft mbH
19.00 Uhr Ende der Veranstaltung