Die politischen Ereignisse der letzten Monate sind beunruhigend und die Reaktionen darauf, die selbst zu Ereignissen werden, sind es auch: Identität wird hergestellt durch festgezurrte Selbstsicherungen des angeblich Eigenen und durch negative Gegenüberstellung mit dem vermeintlich Anderen. Die X-gida-Formationen etwa konstruieren eine rundum positive jüdisch-christlich-abendländische Identität im Gegensatz zu einer feindlichen, unterlegenen, zurückgebliebenen islamisch-morgenländischen Identität. Diese Herstellung geht einher mit Machtsicherung und faktischer Machtausübung.
Wie sieht eine dem widerstehende und überdies attraktive Theorie und Praxis aus, die uns eine Existenz im Unvollkommenen und im Wandel eröffnet? Und wie können wir, mit Adorno gefragt, ohne Angst verschieden sein?
In der Bibel geht es nicht um das, was wir sind, sondern um das, was wir sein werden: Wir sind immer unterwegs, unterwegs mit denen, die vor uns unterwegs waren: Abraham und Sara, Jakob und Lea und Rebecca, Joseph, Ruth, Mirjam, Jesus. Gott selbst wird sein, die sie sein wird (Ex 3,14). Der Gottesebenbildlichkeit der Menschen entspricht, dass auch wir Menschen protestieren gegen die Bilder davon, was genau ein Mann, eine Frau, ein Mensch mit oder ohne Behinderung, eine Christin, eine Muslima, ein Jude ist, und nicht zuletzt: was wir selbst zu sein glauben.
Aber es gibt eine Sehnsucht nach festen Selbstdefinitionen, Selbstidealisierungen, die wir nicht ignorieren können, die uns nicht fremd, die sogar Teil von uns ist. Können wir wirklich unsere Identitätsfestungen verlassen? Können wir Grenzgängerei einüben?
Wir wollen das gemeinsam versuchen! Denn es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.
In schon geübter Werkstattmanier werden wir der zentralen Frage nach unseren eigenen wie auch den politischen Versuchen von Identitätsbehauptungen nachgehen – biblisch-theologisch, philosophisch, politisch, kreativ. Wir laden Euch zu dem ernsthaften Versuch ein, zusammen verbindlich ein kleines gutes Stück Weges zu gehen.
Die Werkstatt Theologie, ein Kooperationsprojekt von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und der Ev. Akademie zu Berlin, versteht sich als Denk- und Sprachwerkstatt eines der Bibel wie der gesellschaftlichen Wirklichkeit angemessenen Hörens, Verstehens und Tuns.
Freitag, den 01. Juli 2016
18.00 Uhr Begrüßung und Willkommen
18.30 Uhr Geworden – Sein. Biographische Räume eröffnen
Hanna Beneker, Dipl. - Soziologin (Schwerpunkt Biographie und Ethnographie) und Theaterpädagogin
22.00 Uhr geselliger Abend im Garten
Samstag, den 02. Juli 2016
09.30 Uhr Morgenandacht
10.00 Uhr Arbeitsgruppen:
1. Von der Sehnsucht gemeinsam gut zu sein. Was ist Aktion Sühnezeichen Friedensdienste?
Oft verbinden Aktive, Ehemalige und andere Menschen bestimmte Bilder mit Aktion Sühnezeichen: Codes, Erfahrungen, Ideen von Versöhnung und die Sehnsucht nach dem Guten. Diese Bilder bergen ein hohes Identifikationspotential: Wer sich "über ASF" kennt, meint schnell das Gleiche im Anderen erkannt zu haben. Gemeinsam wollen wir erforschen, warum das so ist.
Was verbinden wir mit der Aktion Sühnezeichen? Welche Bilder verknüpfen wir mit ihr und wie hängen diese Bilder mit unserer Sehnsucht nach Ganzheit zusammen? Wie passen die schönen Gefühle der Zugehörigkeit mit den schweren Begriffen "Sühne" und "Schuld" zusammen? Gibt es hier Identitätsfallen, in die wir nur allzu gerne tappen?
Zum Workshop sind alle Interessierten eingeladen. Ein Engagement bei Aktion Sühnezeichen ist explizit keine Teilnahmevoraussetzung.
Dr. Dagmar Pruin (Geschäftsführerin ASF) und Robert Kluth (ehem. ASF-Freiwilliger)
2. „Und Gott sah, dass der Mensch behindert war – und siehe es war sehr gut.“ Biblische Texterkundungen zu Krankheit und Behinderung, Heilung und Gesundheit
Der Workshop begibt sich – in der Nachfolge von Ulrich Bach – auf die Spurensuche nach einer Theologie nach Hadamar. Diese ist eine Infragestellung unserer gesellschaftlichen Norm von Gesundheit und den damit verbundenen Menschenbildern. Leistungsfähigkeit und Gesundheit sind vielerorts die Maßstäbe eines gelingenden Lebens – eine Theologie, die diesem Menschenbild folgt, ist eine behindernde und behinderte Theologie. Dagegen wollen wir uns auf den Weg zu einer „ebenerdigen Theologie“ (Bach) machen, einem „Sehen“ und „Verstehen“ der Welt und des menschlichen Schicksals nicht von einer ideologieprivilegierten Tribüne der scheinbaren Gesundheit herab, sondern aus der tief gelegenen Arena des gelebten, geliebten, umkämpften und erlittenen Lebens.
Mit Marie Hecke, ehem. ASF-Freiwillige und Promoventin an der Universität Göttingen
3. Es ist noch nicht erschienen, wer wir sein werden – ein Versuch zu einer zeitgemäßen biblisch-theologischen Betrachtung
In Zeiten, in denen das christlich jüdische Abendland und seine Verteidigung Straßenparolen werden, ist Widerspruch angesagt. Aber auch Reflexion des je eigenen Anteils an Identitätsaufladungen: Was verbirgt sich hinter Sätzen wie: „Wir können erst in den interkulturellen und interreligiösen Dialog eintreten, wenn wir wissen, wer wir sind.“ Warum wird (religions-)pädagogisch häufig die Herausbildung einer klaren Identität als „Allheilmittel“ bedacht, wo dieser Weg doch in der Regel befördert, was er verhindern möchte, nämlich Exklusion und Negativabgrenzungen von „Fremdem“.
Was ließe sich aus einer biblisch-theologischen Perspektive dazu sagen?
Dr. Christian Staffa, Studienleiter Demokratische Kultur und Kirche, Ev. Akademie zu Berlin
13.00 Uhr Mittagspause
14:00 Uhr Arbeitsgruppen:
1. „Komm ins Offene, Freundin.“ - Gebet als Ort der Entäußerung
Sich Gott mit Sprache nähern - da wird die Sprache brüchig. Da werden wir brüchig, dürfen es sein. Gebete sind Orte der Gottesbegegnung.
„Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“ (Röm 8,26). Mitten in unserer Sehnsucht werden wir durch ein Seufzen vertreten, das ist das Gegenteil von Magie.
Wie werden aus kollektiven Überredungsritualen ernsthafte Grenzgänge der Entäußerung? Wie entkommen wir ausgehöhlten Sprachgesten und beten dabei in Verantwortung voreinander und vor denen, die vor uns waren?
Wir suchen nach spirituellen Möglichkeiten vor dem Hintergrund von Sprachverlust und mit Lust auf Neuentdeckungen.
Aline Seel, Vikarin, Berlin
2. Treten Sie ein, treten Sie aus - Konversion als Frage nach dem Werden
Konversion ist ein komplexes Thema. Unser Nachdenken darüber wird auch stark vom kulturellen Kontext bestimmt. Welche Rolle spielt Flucht aus Täterschaftstraditionen und Beschäftigung damit beim Übertritt vom Christentum zum Judentum? Und engen wir nicht allein schon mit dieser Frage die Freiheit von Glaubens- und Lebenswegen radikal ein? Darüber wollen wir gemeinsam ins Gespräch kommen.
Lena Altman (Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ASF), Prof. Dr. Jeff Peck, Dr. Dagmar Pruin
3. Que(e)re Theologien und Kirche
Der Workshop zum Thema „Qu(e)ere Theologien und Kirche“ befindet sich in der Planung.
16.00 Uhr Kaffeepause
16.30 Uhr Erlebbare Theologien - wie sind wir und werden aber?
18.00 Uhr Abendbrot & Fest
Sonntag, den 03. Juli 2016
9:30 Gottesdienst im Französischen Dom
11:00 Gemeinsamer Abschluss im Schleiermacher-Haus
Ende gegen 12.30 Uhr