Der seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufgebaute Berliner Stadtteil Luisenstadt wurde 1945 zu großen Teilen zerstört. Erhalten blieb die ursprüngliche baulich-räumliche Grundstruktur, war aber erst nach dem Fall der Berliner Mauer wieder erlebbar. Wohnbauten verschiedenster Art, darunter auch Plattenbauten, sowie Verwaltungsgebäude und ehemalige Fabrikanlagen prägen heute das Bild ebenso wie das Heizkraftwerk Mitte oder der Spreeuferbereich mit dem Teepeeland-Zeltdorf. Immer noch sind Kriegsspuren sichtbar. Unübersehbar sind auch die Folgen des Entwicklungsstillstands während der Jahrzehnte der Berliner Mauer. Zunehmend bestimmen heute sanierte Altbauten, Neubauten und aufgewertete Freiflächen die Erscheinung des Areals.
Nachdem wir die Gegend um den Luisenstädtischen Kanal schon 2012/13 erkundet haben, führt uns die aktuelle Exkursion in die mittlere und die nördliche Luisenstadt. Dort bilden zwei Erhaltungsgebiete und ein Sanierungsgebiet das Fördergebiet „Luisenstadt (Mitte)". Eine Vielzahl engagierter Bürger beteiligt sich aktiv am Sanierungsprozess. Organisiert sind sie in der Betroffenenvertretung des Sanierungsgebiets und im „Bürgerverein Luisenstadt", der auf mehr als 25 Jahre erfolgreichen Wirkens zurückblicken kann.
Ziel der Sanierung ist die Revitalisierung des innerstädtischen Quartiers. Dabei wird besonderer Wert gelegt auf die Orientierung der Luisenstadt zum Wasser – die Erschließung und Gestaltung des Spreeufers zwischen Märkischem Museum und Schillingbrücke. Planungen zur Herstellung einer durchgängigen Uferpromenade gibt es schon seit Anfang der 1990er Jahre. Einen Schub bekamen sie 2011 mit der Festlegung des Sanierungsgebiets. Die schrittweise Realisierung soll bis 2024 abgeschlossen sein.
Die neue Wegeverbindung zwischen Köpenicker Straße und Spreeufer ist ein erster Schritt zur Erreichbarkeit des Uferbereichs und dient gleichzeitig der Erschließung der Wohnanlagen Alte Seifenfabrik und Bau- und Wohngenossenschaft Spreefeld.
Der Entwicklung der Infrastruktur wird besonderes Augenmerk zuteil. Zu berücksichtigen sind dabei vor allem die steigenden Einwohnerzahlen. So wird z.B. eine zwischenzeitlich schon aufgegebene Plattenbauschule aus den 1970er Jahren als Grundschule reaktiviert. Straßen und Plätze müssen als Orte der Begegnung wiedergewonnen werden.
Stadtbildprägend sind auch die kultur- und baugeschichtlich wertvollen Zeugnisse der Berliner Industriekultur. Sie sollen erhalten und mit neuen Nutzungen wiederbelebt werden, wie das in der Alten Seifenfabrik schon gelungen ist. Für die einst größte und modernste Eisfabrik Deutschlands fehlt noch immer ein Investor mit verträglichem Nutzungskonzept. Fast alle Gebäude sind erhalten, stehen aber seit über 20 Jahren leer und sind zunehmend vom Verfall bedroht.
Die katholische Kirche St. Michael, 1861 eingeweiht und im Februar 1945 bis auf die Umfassungsmauern zerstört, wurde nicht wieder als Großkirche aufgebaut, sondern nur so weit wiederhergestellt, dass sie für gemeindliche Zwecke genutzt werden kann.
Kurz vor dem 100. Jubiläum der Kirchweihe wurde die Kirchengemeinde durch den Bau der Berliner Mauer getrennt, St. Michael lag im unmittelbaren Grenzbereich. Erst nach 1990 konnte die Gemeinde wieder zusammengeführt werden. Der 2001 gegründete Förderverein hat sich die Aufgabe gestellt, „die Kirche einschließlich des Inventars durch finanzielle und sonstige Förderung zu erhalten, zu pflegen, zu sanieren und in Teilen zu rekonstruieren".
Heinz-Joachim Lohmann, Evangelische Akademie zu Berlin
Helga Wetzel, Arbeitskreis Stadtpolitik
Berlin-Brandenburgische Stadtexkursionen - Berliner Kieze im Wandel