Schwartzkopffsche Werke
Seit den 1880er-Jahren war Wildau ein von Chemieindustrie, Lokomotiv- und Schwermaschinenbau geprägter Industriestandort mit wechselvoller Geschichte. Das Erscheinungsbild des Städtchens bestimmen seit über 100 Jahren die Ziegelbauten der ehemaligen Schwartzkopffschen Werke und der dazugehörigen Wohnsiedlung. Obwohl die ursprünglich enge Verbindung von Arbeiten und Wohnen nicht mehr gegeben ist, bleibt die Siedlung ihrem Zweck erhalten und ist nach Sanierung als Wohnort eher noch attraktiver. Die historischen Industriebauten hingegen unterliegen in ihrer Nutzung einschneidenden Veränderungen.
Anfang der 1990er-Jahre kam es mit dem Wegfall von mehr als 3 000 Arbeitsplätzen an diesem Standort zu ökonomischen und sozialen Verwerfungen, nicht aber zum völligen Niedergang wie andernorts. Bei Erhaltung des historischen Erscheinungsbildes der äußeren Gebäudehülle mit originalen Fenstern und Türen, der Außenanlagen und prägender Ausstattungselemente werden die Industriegebäude in einem noch nicht beendeten Prozess nach Sanierung vielfältigen neuen Nutzungen zugeführt.
Statt weniger strukturbestimmender Industrien gibt es inzwischen eine Vielzahl unterschiedlichster, oft sehr kleinteiliger Nutzungen – Betriebe, Werkstätten und Dienstleister vom Wildauer Sozialladen, Änderungsschneiderei, Natursteinverkauf über Kletterwände, Tischlerei, Buchhaltungsbüro bis zur Akademie für Weiterbildung. Die größten Innovationen bewirkt die im Süden des Gebiets angesiedelte, 1991 gegründete Fachhochschule, seit 2009 Technische Hochschule Wildau. Mit sanierten Werkhallen und anderen historischen Gebäuden, ergänzt durch bewusst in Material und Gestaltung davon abgesetzte Neubauten, schafft sie für mehr als 4 000 Studierende einen attraktiven, familienfreundlichen Studien- und Wohnort.
Wohnsiedlung
Ende des 19. Jh., nach Verlagerung des Schwerindustriekomplexes der Firma Schwartzkopff von Berlin nach Wildau, wurden neben den ersten Werkhallen sofort auch Wohnungen gebaut. Bei dieser Siedlung handelt es sich um ein nahezu vollständig erhaltenes kulturhistorisches Denkmal ersten Ranges, eine der bedeutendsten und einheitlichsten Werkssiedlungen im Land Brandenburg.
In markanten zwei- bis dreigeschossigen Ziegelbauten mit weißen Putzflächen entstanden Wohnungen mit vergleichsweise hohem Standard. Die Arbeiterwohnungen hatten zwei Zimmer, Küche, Speisekammer, Korridor und Innentoilette, dazu kamen Abstellräume im Keller und auf dem Dachboden. Wohnungen für Meister oder höhere Angestellte waren größer und auch großzügiger angelegt. Die im Werk Beschäftigten sollten an den Ort gebunden werden. Deshalb wurden nicht nur Wohnungen geboten, sondern auch Schule und Turnhalle, ärztliche Versorgungseinrichtungen, Postamt, Casino – später Volkshaus, heute Stadtverwaltung –, Kirche, Konsumanstalt, Turn- und Festplatz, ein Clubhaus, ein Bootshaus.
Nach umfassender Bestandsanalyse begann 2003 die Sanierung der Wohngebäude im Sanierungsgebiet Schwartzkopff-Siedlung. Bei der Gestaltung des Wohnumfelds nach Plänen von 1910 wurde die ursprüngliche Parzellenstruktur mit den historischen Mietergärten erhalten, ergänzt durch Parkplätze und Terrassen. Zu Eingriffen in die Struktur kam es lediglich bei der Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Es entstand die „Neue Mitte" mit Läden, Gastronomie und Veranstaltungs-räumen. In der Siedlung leben jetzt etwa 1 600 Einwohner in ca. 1 000 Wohnungen. Die Stadt Wildau hat seit 2016 über 10 000 Einwohner, mit steigender Tendenz.
Heinz-Joachim Lohmann
Evangelische Akademie zu Berlin
Helga Wetzel
Arbeitskreis Stadtpolitik