Der Umgang mit biblischen Geschichten gehört zum Tagesgeschäft von Multiplikator*innen in kirchlichen, schulischen und universitären Kontexten. Die Texte bieten einerseits facettenreiche Möglichkeiten des kreativen Umgangs und nachdenklicher Auslegung. Viele Bilder biblischer Figuren, Szenen und Geschichten sind als Teil christlicher Tradition eng vertraut und sie bieten immer neue Möglichkeiten der Auseinandersetzung im Schulunterricht, in Seminaren, im (Kinder-)Gottesdienst, im Konfirmationsunterricht.ie können christliche Kernnarrative aus antisemitismuskritischer Perspektive neu und anders erzählt werden?
Andererseits bergen viele einflussreiche Erzählungen eine Schattenseite, weil sie Teil antijüdischer Traditionen geworden sind. Im täglichen Umgang und im politischen Leben bestätigen sie sich immer wieder neu und verfestigen sich. Wo Menschen die Bibel lesen und auslegen, lernen sie – oft Negatives – mit Pharisäern, Hohepriestern, Synagogen, Gesetz und Geld zu assoziieren und sich figürlich vorzustellen. Solch antijüdische Bilder sind vielfach unbewusst und deshalb unter der Oberfläche umso wirksamer.
Der Anspruch, verzerrte Bilder zu verlernen, ist deshalb eine vielschichtige Aufgabe, die auch einer selbstkritischen Haltung bedarf. In der Tagung werden wir uns der Antisemitismuskritik deshalb zunächst in Form kritischer Selbstreflexion annähern. Inwiefern sind wir Träger*innen von Antijüdischem? Welche inneren und äußeren Hindernisse gibt es, die den Umgang mit antisemitismuskritischen Inhalten erschweren?
Im Verlauf der Tagung werden wir vier Bilder kritisch reflektieren, die sich heute auch in der säkularen Gesellschaft finden lassen, ohne dass ihr kirchengeschichtlicher Ursprung wahrgenommen wird:
- die Verschwörung der jüdischen Eliten gegen Jesus von Nazareth
- den Verrat des Judas gegen Geld als Paradigma jüdischer Illoyalität
- das Gesetz als Kern einer selbsgerechten Verbotsreligion
- die Landverheißung und Israel als koloniales Projekt
Diese Bilder und Erzählstrukturen wollen wir uns bewusst machen und neue Inhalte erschließen, die entstehen, wenn man die Bibel als ein jüdisches Buch versteht. Wie können wir beispielsweise die Passionsgeschichte erzählen, ohne die Hohepriester als verschwörerische Herrscherclique zu lesen? Was passiert, wenn der Judaskuss ein tränenreicher Abschiedskuss wird? Warum ist jedes Jota der Tora wegweisend für Christenmenschen?
Wie können wir antisemitismuskritische Inhalte so einspeisen, dass sie auch im Bildungshandeln mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zum Tragen kommen?
Gemeinsam erstellen wir Material und verarbeiten es kreativ weiter, um Elemente neuer Erzählweisen zu produzieren und Paradigmenwechsel für diese Erzählungen anzubahnen. Damit möchten wir auf der narrt-Website eine Datenbank für Bildungsmaterialien entwickeln, die theologisch fundierte und biblisch-exegetisch kundige Narrative vermitteln, ohne antisemitische Zerrbilder zu bedienen.