„Neuer Wein in alten Schläuchen” - schon früh in der Kirchengeschichte hat man aus diesem Bildwort ein Plädoyer für einen radikalen Neuanfang und eine Aufforderung zur Überwindung des Alten herausgelesen: Das Neue überwindet das Alte und löst es ab, als stünden Alt und Neu im Widerspruch zueinander. Aus dieser Lesart lässt sich ein Konflikt und Kontrast zwischen Jesus und dem Judentum ableiten, zwischen Evangelium und Gesetz, Neuem und Alten Testament, zwischen Kirche und Synagoge. Aber diese Interpretation verfehlt die eigentliche Intention des Jesus-Wortes, dem es vielmehr um die Frage der Zuordnung geht: In welcher Beziehung sollen das Alte und das Neue zueinander stehen?
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte sowie junge Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten. Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren.
In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potenzial biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Christfried Böttrich ist Professor für Neues Testament an der Universität Greifswald.