Die Auslöschung der Urbevölkerung von Kanaan gehört in die Reihe der alttestamentlichen Gewaltschilderungen, mit denen Christ*innen begründen, warum sie sich vom ersten Teil ihrer Bibel entfremdet haben. Damit profilieren sie ihren eigenen Glauben direkt oder indirekt gegen das Judentum. Was kann aus dieser Haltung herausführen? Ein erster Schritt wäre das Verständnis für die Gründe, aus denen solche Gewaltbilder überliefert werden. Diese Bilder beschreiben ja – da sind sich alle alttestamentlichen Experten einig – keine historischen Vorgänge. Auch geht es nicht darum, zum Krieg gegen Nachbarvölker anzustiften. Was dann ist die Funktion solcher Gewalterzählungen? Ausgehend von Psalm 129, in dem Kindersklav*innen das Volk Israel auffordern, sich die Gewalterfahrungen in der Versklavung zu eigen zu machen, öffnet Klara Butting einen „Verstehensraum“: Bei den Schilderungen von Gewalt geht es um Herausbildung und Aufbruch in neue Identitäten und damit um Problemstellungen, die uns auch heute in den gegenwärtigen Kontroversen der Identitätsdebatten begegnen.
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte sowie junge Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten. Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren.
In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potenzial biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Klara Butting ist apl. Professorin für Altes Testament und Biblische Theologie an der Universität Bochum und Mitherausgeberin der Zeitschrift Junge Kirche. An der Bibel in gerechter Sprache war sie als Übersetzerin beteiligt.