Mit dem Bemühen um eine politisch aktualisierte Bibelexegese halten gerade mit Blick auf die Situation des modernen Staates Israel auch historisch eher säkulare antisemitische Bilder Einzug in die Auslegungstradition. Dann werden beispielsweise Jüdinnen und Juden als Kriegstreiber*innen verleumdet oder als allgemeine Gefahr für den Weltfrieden dargestellt, oder die Möglichkeit jüdischer Staatlichkeit wird grundsätzlich negiert. Erst eine antisemitismuskritische Revision dieser Exegese entzerrt und bereichert die christlichen Friedensbilder und -diskurse.
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte sowie junge Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten. Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren.
In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potenzial biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Maria Coors ist evangelische Theologin, Judaistin und Historikerin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Projektleiterin bei der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland und forscht zu Themen des interreligiösen Dialogs, zu christlichem Antisemitismus und jüdischer Bildung.