Der Ausdruck „neuer Bund“ ist im Neuen Testament nur selten zu finden: Er taucht auf im Kelchwort Jesu (Lk 22,10 bzw. 1Kor 11,24), in 2Kor 3,6 und dann vier Mal im Hebräerbrief. Dort beginnt die substitutionstheologische Rezeption: Der „neue Bund“ wird exklusiv mit Jesus Christus in Verbindung gebracht; von der frühen Kirchengeschichte an bis in die Gegenwart wird der „neue Bund“ also auf das Christentum bezogen. Damit bleibt für das Judentum nur der Bezug zum „alten Bund“. Anders formuliert: Das Judentum hat im Licht dieser Lesart keine religiöse Legitimation mehr, denn Gott selbst hat es durch das Christentum ersetzt. Zeugen dieser substitutionstheologischen Rezeption sind zum Beispiel bildliche Darstellungen der Figuren Ecclesia und Synagoga wie am Straßburger Münster.
In unserer Reihe antisemitismuskritischer Bibelauslegungen stellen renommierte sowie junge Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten. Klischeehafte christliche Vorstellungen wirken oft bildhaft im säkularisierten Antisemitismus weiter: der alttestamentarische Gesetzesglauben; der Rachegott, der Blutopfer als Sühne verlangt und Beschneidung anordnet; der eine bestimmte Gruppe auserwählt (Kirche oder Synagoge) und dessen Verheißungen Nationalismus und Kolonialismus schüren.
In wissenschaftlich fundierten, aber leicht zugänglichen Auslegungen bestimmter Textpassagen hinterfragen wir diese karikierenden Vorstellungen jeden zweiten Donnerstag im Monat. Die Exeget*innen schneiden dabei die antijüdische Rezeptionsgeschichte kurz an, entwickeln aber vor allem neue, kreative und lebendige Verständnismöglichkeiten, in denen die Schrift in ihrer Tiefe und Mehrdimensionalität neu zur Geltung kommt. Die Vorträge sollen Lust machen, das Potenzial biblischer Texte neu zu entdecken und zu zeigen, wie sehr wir davon profitieren, wenn wir sie mit der jüdischen Tradition und nicht gegen sie lesen.
Prof. Dr. Karin Finsterbusch studierte Judaistik und evangelische Theologie. Seit 2004 ist sie Professorin für Altes Testament an der Universität Koblenz-Landau, seit 2023 lehrt sie am Institut für Evangelische Theologie der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.