Wer von Familie redet, assoziiert damit möglicherweise Wärme, Nähe und Geborgenheit. Vor allem aber ruft der Familienbegriff einen Kontext auf, in der andere Regeln als im gesellschaftlichen Miteinander gelten: Dort das Recht, hier das Vertrauen. Dort die Gerechtigkeit, hier die Barmherzigkeit.
So verstanden, kann die Familie einen Schutzraum gegen „die Welt da draußen“ bieten. Sie kann aber auch zu einem Ort werden, in dem die Rechte der Einzelnen zugunsten der Werte der Familie zurückstehen müssen. Das Konzept der Familie kann so dazu führen, dass Freiheiten beschnitten oder gar Grenzen überschritten werden. Dann erweist sich – im Privaten wie in der Kirche – Familie als toxischer Zusammenhang. Unter dem nur oberflächlich heimeligen Mantel der Familie kann sogar Gewalt nicht nur geduldet, sondern auch befördert werden. Denn der Begriff und die damit verbundene Vorstellung von Familie ermöglichen, Widerspruch und Abwehr moralisch zu diskreditieren und als Ausbruch aus der vermeintlich heilen Welt der Familie zu sanktionieren.
Die Veranstaltung ist Teil der Reihe Familie 2025: Zwischen Ideal und Wirklichkeit, die im Zentrum unseres Jahresthemas Familie steht. Familie begegnet uns im Jahr 2025 in Form ganz unterschiedlicher Fürsorgebeziehungen – zugleich sind Politik, Kirche und Gesellschaft immer noch stark auf das Konzept einer Kleinfamilie ausgerichtet. Welche Brüche und Spannungen ergeben sich daraus für Familien? Muss sich etwas ändern?
Reiner Anselm lehrt als Theologe an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München und beschäftigt sich in seinen Forschungen insbesondere mit Politischer Ethik und Bio- und Medizinethik. Er ist ehemaliger Sprecher der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD und im heutigen Kammernetzwerk der EKD engagiert.