Alt oder neu, was ist besser?
Christfried Böttrich über das biblische Bild vom jungen Wein in alten Schläuchen
Als eine neue Glaubensgemeinschaft im römischen Reich, das nur alte Religionen wertschätzte, mussten die Christusgläubigen einerseits ihre Verwurzelung in den Schriften und Traditionen Israels betonen als auch ihre Neuerungen und Veränderungen erklären. Erst später in der Kirchengeschichte wurde aus dem Bildwort vom „neuen Wein in alten Schläuchen” (Lk 5,36-39) ein Plädoyer für einen radikalen Bruch und Neuanfang, so als stünden sich Alt und Neu gegensätzlich gegenüber, so als gäbe es einen unüberbrückbaren Konflikt zwischen Evangelium und Gesetz, Neuem und Alten Testament, Kirche und Synagoge. Bei genauerem Hinsehen, so argumentiert Christfried Böttrich, sollen die „alten Schläuche“ und das „alte Gewand“ nicht verworfen, sondern bewahrt werden: Der neue, spritzige Wein würde die alten Schläuche zerplatzen lassen, dabei sind sie doch für alten (und wertvolleren) Wein gedacht; das alte Gewand soll repariert werden, aber man verschwendet doch keinen neuen Stoff, um Flicken herzustellen. Diese Bilder liefern einen differenzierteren Blick auf die Beziehungen von Altem und Neuen und keinesfalls eine überhebliche Überwindung des (jüdischen) Alten durch das (christliche) Neue!
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Christfried Böttrich ist Professor für Neues Testament an der Universität Greifswald.
Erschienen am 29.09.2023
Aktualisiert am 29.09.2023