Auge um Auge, Zahn um Zahn
Matthias Ederer erklärt das Talionsgesetz
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ - dieses Satzbruchstück kennen die meisten Christinnen und Christen aus der Bergpredigt (Mt 5,38-42); dort nimmt die fatale Fehlinterpretation einer Antithese von friedliebendem Christentum einerseits und jüdischer Rachereligion andererseits ihren Anfang. Dabei ist dieses Satzfragment ursprünglich Teil einer längeren Gesetzessammlung im Bundesbuch (Ex 21,24), in der es um einen ganz konkreten Fall geht: In einem Streit zwischen zwei Männern kommt eine schwangere Frau zu Schaden. Der Text weist die Richter an, eine Entschädigung nach den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit (der talion) aufzuerlegen. Es geht bei „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ also keinesfalls um gewalttätige Rache und Selbstjustiz, sondern um einen materiellen „Ersatz“ (tachad), der Wiedergutmachung und Entschädigung leisten, und den Rechtsfrieden wiederherstellen soll.
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Prof. Dr. Matthias Ederer hat Judaistik und Katholische Theologie studiert und arbeitet seit 2020 als Professor für Exegese des Alten Testaments an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern (Schweiz).
Erschienen am 21.02.2024
Aktualisiert am 24.04.2024