Das erwählte Volk
Rainer Kessler über Sinn und Zweck einer Wahl
Mit einem „Schutthaufen, der 2000 Jahre lang angehäuft und festgetreten worden ist“, vergleicht Rainer Kessler tradierte antisemitische Stereotype und Klischees. Zum Auftakt unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen spricht er über 5. Mose 7,6-11 – die Textstelle, an der von Israel als einem „heiligen“ und von Gott „zum Eigentum erwählten Volk“ gesprochen wird.
Dieser Vers wurde in der christlichen Auslegungsgeschichte oft zum Vorwurf gewendet. Auch Martin Luther unterstellte den Juden in kruder Sprache, sie bildeten sich etwas darauf ein, das erwählte und bessere Volk zu sein.
Mit diesem Missverständnis räumt Rainer Kessler auf und richtet den Blick stattdessen auf das „Wofür“ und „Wozu“ der Wahl Gottes. Diese falle deshalb zuerst auf das unbedeutende und versklavte Israel – und später auch auf die Unterdrückten und Verfolgten in der christlichen Gemeinde –, um dadurch Gottes Willen und Macht offenbar zu machen.
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Prof. Dr. Rainer Kessler war Pfarrer der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und Professor für Altes Testament an der Universität Marburg. Seit 2010 ist er im Ruhestand. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Sozialgeschichte des alten Israel, die biblische Prophetie und die Ethik des Alten Testaments.
Eine schriftliche Fassung des Vortrags ist nachzulesen in der Broschüre "Störung hat Vorrang. Christliche Antisemitismuskritik als religionspädagogische Praxis", die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus gemeinsam mit unserem Projekt DisKursLab herausgegeben wurde. Auf der Website des Netzwerks antisemitismus- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie (narrt) steht er ebenfalls im Volltext zur Verfügung.
Erschienen am 09.09.2021
Aktualisiert am 12.07.2023