Die Judasfigur
Rainer Kampling zur Geschichte der Dämonisierung eines Apostels
Sein Name steht für Verrat und Geldgier, teuflische Heimtücke und Treulosigkeit: Judas wird in der christlichen Rezeptionsgeschichte zur Folie antijüdischer Projektionen. Rainer Kampling beleuchtet in seinem Vortrag, wie und warum sich antijüdische Ressentiments in der Judasfigur verdichten und die Auslegung der Passionsgeschichte beeinträchtigen.
Viel Biographisches erfahren wir in der Bibel nicht über Judas, dem die Evangelisten den Beinamen „Iskariot“ gegeben haben. Er ist einer der zwölf Apostel und gehört zum engen Kreis um Jesus. Schon die früheste Erwähnung in Markus 3,19 verweist auf seine Rolle bei der Auslieferung Jesu an die Hohepriester. Versuche, seine Motivation zu erklären, führen dazu, dass Judas zunehmend mit dem Teufel assoziiert und zur „Antifigur“ gemacht wird. Drei Motive – Verrat, Käuflichkeit und die Nähe zum Teufel – werden nicht nur für das Verständnis von Judas in späteren neutestamentlichen und kirchlichen Erzählungen zentral, sondern bestimmen in der Rezeptionsgeschichte zunehmend die Darstellungen von Juden. Judas wird zu einem negativen Prototyp des Judentums. Allerdings blieb es der Neuzeit vorbehalten, Judas völlig aus seinem biblischen Kontext zu entfremden und ihn zu einer Figur des antisemitischen Hasses zu machen.
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Prof. Dr. Rainer Kampling studierte Katholische Theologie, Lateinische Philologie und Judaistik. Nach einer Professur für Neues Testament in Saarbrücken wurde er Professor für Biblische Theologie an der Freien Universität Berlin. Er gehört dem Direktorium des Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg an und ist Koordinator des Verbundprojekts „Christliche Signaturen des zeitgenössischen Antisemitismus“.
Erschienen am 12.01.2023
Aktualisiert am 12.07.2023