Die Passionsgeschichte ohne Verschwörung erzählen
Katharina von Kellenbach zur jüdischen Schuld
Erst nach der Shoah haben die Kirchen begonnen, den Vorwurf einer jüdischen Kollektivschuld am Tod Jesu zu revidieren, der sich da längst in säkularen Verschwörungserzählungen verselbstständigt hatte. Wie soll man heute die neutestamentlichen Texte lesen, die Pharisäern (Mk 3,6, Joh 5,18), Hohepriestern und Schriftgelehrten (Mk 14,1-2, Joh 5,18) oder den Juden insgesamt (Joh 5,18) unterstellen, sie „suchten, wie sie ihn mit List ergreifen und töten könnten“?
Katharina von Kellenbach fragt in ihrem Vortrag, wie sich das Bild der hinterlistigen jüdischen Eliten entkräften lässt, die den zaudernden, von Jesu Unschuld überzeugten römischen Statthalter Pilatus dazu bewegen, einen Justizmord zu begehen. Im kritischen Nachdenken über Schuld und Unschuld, Macht und Ohnmacht sucht sie nach einem Verständnis des Opfertodes Jesu als Lamm Gottes, das ohne Sühne, ohne jüdische Täterschaft und ohne Verschwörung auskommt.
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Prof. em. Dr. Katharina von Kellenbach ist Referentin des Projektes Bildstörungen an der Evangelischen Akademie zu Berlin sowie Visiting Fellow in Christian-Jewish Relations am Boston College und Professor Emerita für Religionswissenschaften am St. Mary's College of Maryland.
Eine schriftliche Fassung des Vortrags ist nachzulesen in der Broschüre „Störung hat Vorrang. Christliche Antisemitismuskritik als religionspädagogische Praxis“, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus gemeinsam mit unserem Projekt DisKursLab herausgegeben wurde. Auf der Website des Netzwerks antisemitismus- und rassismuskritische Religionspädagogik und Theologie (narrt) steht er ebenfalls im Volltext zur Verfügung.
Erschienen am 08.09.2022
Aktualisiert am 12.07.2023