Innere und äußerliche Reinheit
Jens Schröter über die neutestamentlichen Diskussionen um die Reinheitsgebote
Wodurch kann Reinheit nach jüdischer Vorstellung verloren gehen – und wie kann sie wiederhergestellt werden? Warum ist es im jüdischen Glauben wichtig, für die Begegnung mit Gott „rein“ zu sein – und warum ist dies im Christentum weithin unwesentlich geworden? Anhand von Texten aus dem Neuen Testament hat sich der Theologe Jens Schröter in unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen dem Thema "Reinheit und Unreinheit“ genähert.
Der Vorwurf etwa, die Pharisäer kümmerten sich nur um die äußerliche Reinheit und vernachlässigten die inneren Werte, gehört ins Arsenal antijüdischer Stereotype. Dabei, so erklärte Schröter in seinem Vortrag, regeln die Reinheitsgebote den priesterlichen Zugang zum Allerheiligsten im Tempel und haben zunächst vorrangig kultische Bedeutung. Er machte deutlich, dass es um alltägliche Reinigungsriten beispielsweise nach dem Geschlechtsverkehr und während der Menstruation geht, oder um körperlichen Kontakt mit Kranken und Toten. Die Pharisäer, so zeigte der Theologe, haben die Reinheitsgebote demokratisiert und im Alltagsleben normaler Juden und Jüdinnen verankert, damit erfahrbar wird, „dass es nicht egal ist, was wir mit unserem Leben machen, sondern dass wir unser Leben in Verantwortung vor Gott führen“. Jesus von Nazareth sei Teil dieser innerjüdischen Diskussionen um die Funktion und Bedeutung der menschlichen Reinheit in Beziehung zu Gott, indem er die Pharisäer immer wieder heftig kritisiere.
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Prof. Dr. Jens Schröter ist Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments sowie die antiken christlichen Apokryphen an der Humboldt Universität zu Berlin.
Erschienen am 29.10.2024
Aktualisiert am 30.10.2024