Krzyżowa / Kreisau
Kreisau, polnisch Krzyżowa, ist ein Dorf mit etwa 200 Einwohnern südwestlich von Breslau. So klein der Ort – so immens die zeitgeschichtliche Bedeutung der nach 1990 zur Begegnungs-, Tagungs- und Gedenkstätte umgebauten Gutsanlage.
Hier in Niederschlesien trafen sich auf Einladung von Helmuth James Graf von Moltke in den 1940er Jahren die Mitglieder des Kreisauer Kreises, um Pläne für die Zeit nach dem erhofften Ende des Nationalsozialismus zu entwerfen. Und hier feierte der polnische Bischof Alfons Nossol 1989, nach dem Fall von Berliner Mauer und Eisernem Vorhang, mit dem polnischen Premierminister Tadeusz Mazowiecki und Bundeskanzler Helmut Kohl eine deutsch-polnische Versöhnungsmesse.
Die Gedenkstätte für Widerstand und Opposition in Kreisau/Krzyzowa gehört zur polnischen Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung, unter deren Dach seit 1990 auch eine Europäische Akademie, eine internationale Jugendbegegnungsstätte und ein Konferenzzentrum angesiedelt sind. Diese Einrichtungen befördern gemeinsam „ein friedliches und von gegenseitiger Toleranz geprägtes Zusammenleben der Völker, Gesellschaftsgruppen und einzelnen Menschen“ . Die Satzung der Stiftung verpflichtet sie, das Gedankengut des Kreisauer Kreises und der Versöhnungsmesse zu tradieren und die europäische Verständigung zu vertiefen.
Die Evangelische Akademie zu Berlin ist dem historischen Ort seit langem verbunden – ihr langjähriger und im Jahr 2011 verstorbener Studienleiter Ludwig Mehlhorn, der bereits zu DDR-Zeiten enge Kontakte zur polnischen Opposition pflegte, zählt zu den Mitinitiator*innen der Stiftung für europäische Verständigung und setzte sich in besonderer Weise für die deutsch-polnische Aussöhnung ein. Ludwig Mehlhorn wurde postum für seine Verdienste mit dem Kommandeurkreuz des Verdienstordens der Republik Polen geehrt. In der von seinen Ideen geprägten Tradition veranstaltet die Evangelische Akademie mit ihren deutschen und polnischen Partner*innen einmal im Jahr das West-Osteuropäische Gedenkstättentreffen in Kreisau.
Kreisau ist heute wieder ein lebendiger Ort – der restaurierte und umgebaute ehemalige Gutshof umschließt eine weitläufige rechteckige Rasenfläche: Das Herrenhaus, Schloss genannt, sowie die einstigen Wirtschaftsgebäude, Unterkünfte, Ställe, Remisen und Scheunen erinnern noch an die Zeit der Landwirtschaft, die Gebäude aber werden heute anders genutzt. In der Scheune wird Sport getrieben, zudem steht sie für Konferenzen und Feste zur Verfügung, im einstigen Kuhstall sind Speisesaal, Rezeption und ein Café untergebracht, das Waschhaus ist mit einem Töpferofen und einer Druckpresse ausgestattet worden – und im Schloss befinden sich neben der Dauerausstellung „In der Wahrheit leben“ weitere Seminarräume, die Bibliothek, ein kleiner Buchladen sowie ein Partykeller und ein Kinosaal. Die Begegnungsstätte bietet heute 180 moderne Übernachtungsplätze und wird von allen Arbeitsbereichen der Stiftung genutzt.
800 Meter entfernt auf einem Hügel – einen Spaziergang von 10 Minuten durch eine prächtige Eichenallee entfernt – erhebt sich das Berghaus. Seit ihrem Auszug aus dem Schloss im Jahr 1928 wohnte hier die Familie von Moltke. Dieses Gebäude war der eigentliche Treffpunkt der NS-Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“ und es ist heute Herz der Gedenkstätte, die zudem in unterschiedlichen Ausstellungen Informationen bietet und Räume für das Gedenken öffnet.
Erschienen am 24.10.2019
Aktualisiert am 18.09.2020